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Für die meisten Menschen ist die Industriestadt Wolfsburg alles andere als ein attraktives Ziel, wenn man dort nicht zufällig gerade sein neues Auto abholen darf. Für Gourmets allerdings ist es seit über 20 Jahren eine Reise wert. Denn die Attraktion, die dort auf dem schnörkellos modern gestalteten, akkurat getrimmten Gelände um die VW-Autostadt auf diese kleine, eingeschworene Gemeinde lauert, ist nicht weniger als eines der besten Restaurants Deutschlands. Namentlich das Aqua im Hotel Ritz-Carlton, das seit seiner Eröffnung im Juni 2000 federführend von dem gebürtigen Hessen Sven Elverfeld auf höchstem Niveau bekocht wird und in jeder Hinsicht einen hohen Erlebniswert bietet.
Schon der Streifzug über das am Abend effektvoll beleuchtete Gelände, das mit seiner Szenerie zwischen moderner Industrie, glattem Design und zurechtgestutzter Natur faszinierend und fast schon etwas surreal anmutet, stimmt eindrucksvoll auf den Abend in dem großzügig und zeitlos elegant angelegten Gourmetrestaurant ein. Und Elverfelds Küche, die es weiterhin in Gestalt zweier gänzlich unterschiedlicher Menüs in jeweils bis zu acht Gängen gibt, passt sich in ihrer modernen, aufgeräumten und perfektionistisch abgezirkelten Art perfekt diesem Umfeld an.
Geschmacklich wirken die Tellerkunstwerke aber weder kühl konstruiert und technisiert, noch verkopft und elaboriert, auch wenn ihre bis ins letzte Detail beeindruckend ebenmäßige Art keinerlei Zweifel am enormen Aufwand und dem hohen Grad an minutiöser Präzision aufkommen lassen. Und während wir zuletzt noch über etwas arg vornehm zurückhaltende, fast schon zu elegant anmutende Kompositionen mit schüchtern angedeuteten Akzenten resümierten, können wir von unserem jüngsten Besuch berichten, dass die Kompositionen wieder verstärkt kraftvoller, herzhafter und auch emotionaler ausfallen. Trotzdem lässt Elverfeld die Produkte und ihre Aromen auf ganz natürliche, unverstellte Art wirken und schießt zu keiner Zeit mit Vollgas übers Ziel hinaus.
Ein Abend im Aqua ohne die karamellisierte Kalamata-Olive (mit regionalem Ziegenkäse) gleich zu Beginn wäre nichts Halbes und nichts Ganzes. Und so grüßt dieser liebgewonnene Ausbund an komprimiertem Geschmack seit Anbeginn der Ära als feste Konstante jeden Gast als erste Kostprobe des Ausnahmekochs. Dass Sven Elverfeld und sein Team das Spiel mit Säure meisterlich beherrschen, zeigte bei unserem jüngsten Besuch nicht nur der kleine Sauerfleisch-Snack auf hauchfeinem krossem Brotchip und rahmig mariniertem Kraut on top, sondern auch der vegetarische Küchengruß von Kohlrabi und Lauch die mit Senfkörnern, Rauchmandel und Wasabi-Sesam behutsam akzentuiert und sanft mit sublimem Meerrettichschaum überzogen waren. Ein weiteres Amuse drehte sich ganz pointiert um weißen Heilbutt, der hier gebeizt, geräuchert und als Schaum zu einem kleinen Türmchen geschichtet war und von Sanchopfeffer und etwas Meeresspargel tatsächlich wieder nur ganz elegant unterstrichen wurde.
Bei der marinierten Gänseleber mit Mango und Litschi gelang das Kunststück, diese im Grunde ja klassisch fruchtbetonte Foie-Gras-Vorspeise nicht desserthaft wirken zu lassen, was zum einen an den optimal bemessenen Proportionen der Fruchtkomponenten gegenüber der Leber lag, zum anderen an genügend Säure. Aber auch durch die unterschiedlichen Spielarten, in denen die Produkte durchdekliniert waren – geeiste Perlen, geflämmte Mangowürfel, eine mit Miso herzhaft abgerundete Mangocreme oder ein sehr frisch und schlank gestalteter Litschisud – wurde diesem Eindruck gekonnt entgegengesteuert. Weniger relevant dafür war der ebenfalls annoncierte Javapfeffer, von dem wir uns eine etwas markantere Präsenz erwartet hatten, der hier aber tatsächlich nur als Idee im Hintergrund mitschwang.
Ein extrem gutes Beispiel für höchste Verfeinerung herzhafter, fast rustikaler Aromen war der kross auf seiner Haut gebratene Flusszander, der mit Lauch und Blutwurst kombiniert wurde und nebenbei eine Qualität und Frische aufs Porzellan brachte, wie man sie nur sehr selten bekommt. Der Lauch und die Blutwurst wieder in sublimer Zubereitung (cremig, schaumig, mit zartem Biss…) und perfekter Proportionierung, wieder mit straffer, aber sehr gut eingebundener Säure, etwas Zitrusfrische und generell sehr leichter, fast schon ätherischer Anmutung. Auf dem Fisch sorgten zudem scharf angeröstete Lauchwurzeln und -streifen als charmant rauchiges, fast etwas kokeliges „Gewürz“ für einen sehr schönen Akzent und am Tellerboden ein Streifen von cremig püriertem Brunnenkresse-Pesto für einen herbfrischen Hintergrundanstrich.
Von ähnlich zupackendem und dennoch hochelegantem Charakter, diesmal aber in asiatischen Aromenwelten verortet, kam der mit Teriyakisauce unaufdringlich lackierte Kaisergranat nebst artverwandter Verstärkung von Kustentiermayonnaise, Krustentierschaum und kleinen Kroepoeks von Krustentieren daher. Und zwar in Kombination mit einem ausdrucksstark aromatisierten geschmorten Chinakohl, der von expressiver pikanter Würze über feine, an Kimchi erinnernde Fermentationsnoten bis zu zitrusfrischem Background dem Langostino ein äußerst spannendes Geleit stellte und vom Gaumen direkt ins Herz traf. Genau solche Momente hatten wir hier, bei aller Perfektion, in jüngerer Vergangenheit ein klein wenig vermisst.
Und einen solchen herzerwärmenden Moment bescherte auch der Zwischengang um kurz in Sojasud gegartes, im Inneren noch flüssiges Eigelb, das in Begleitung einer Waffel aus seinem knusprig frittierten Eiweiß auf einem milden Umami-Bett aus Champignoncreme, -schaum, -duxelles und roh gehobelten Scheiben lag. Das lebte nicht bloß von seinem naturgemäßen Soulfood-Charakter, sondern zu einem nicht unwesentlichen Anteil auch von einem überraschend raffinierten Spiel der natürlichen Texturen, zu denen auch noch vereinzelte im Dickicht versteckte knackige Zuckermaiskörner das Ihre beitrugen. Zusätzliche Tiefe schenkte der Komposition eine Creme von fermentiertem schwarzem Knoblauch mit ihrer charakteristischen süßlichen Würze, die nebenbei auch noch sehr gut mit dem Mais zusammenspielte.
Beim Schweinebauch vom Holzkohlegrill mit Spargel und Barbecuearomen nahm das Fleisch nicht wie vermutet als saftig-schmelziger Hauptakteur den meisten Platz ein, sondern fungierte mehr als Aromatisierung der weißen Spargelstange, die in der Mitte aufgeschlitzt und quasi mit dünnen Scheiben des Schweinebauchs gefüllt war. Gebettet auf einer schaumig-vollmundigen Hollandaise, eingefasst von einem estragonduftigen Kräuteröl und getoppt mit einer knusprig gepufften Schweineschwarte, war auch das wieder High-End-Seelenfutter. Mit einem so beherzt wie nötig und so zurückhaltend wie möglich eingewobenem Punch durch die würzig-rauchige Barbecue-Note, die freilich so gar nichts Plakatives und Plumpes an sich hatte.
Im Hauptgang gab es für uns Rehrücken, prononciert pfeffrig aromatisiert, mit angerösteten Blütenknospen von wildem Brokkoli bestückt und konsequent minimalistisch nur von roh mariniertem und geschmortem Brokkoli sowie einer Walnusscreme eskortiert. Der Clou war hier – neben dem als nicht weniger als perfekt zu bezeichnenden Rehfleisch selbst und seiner pointierten nussig-kohligen Begleitung – die Wildjus, die mit winzigen Würfeln einer Wildsalami aus der Hand desselben Jägers verfeinert war, der auch das Reh geschossen hatte. Und die dem Wildbret noch mehr Tiefe und Produktcharakter zuspielte.
Nach einer Auswahl vom tipptopp kuratierten Käsewagen, der von den wichtigsten französischen Klassikern bis zu raren Besonderheiten aus Deutschland ein gut strukturiertes und interessantes Angebot beinhaltet, präsentierte sich final auch die Pâtisserie auf Augenhöhe mit den anderen Posten. Zunächst etwas klassischer, mit einem Türmchen aus Zitrusfruchtsavarin, Joghurtmousse und Basilikumsorbet auf einem Spiegel aus Erdbeersauce mit Erdbeeren. Danach schon etwas progressiver, mit einer Interpretation der Berliner Weiße mit Schuss. Und auf dem Pralinenwagen mit sehr kreativen, kontrastreichen Kombinationen, deren Aromen richtig schön markant ausgearbeitet waren und so zum Abschluss tatsächlich nochmal ein kleines Feuerwerk abfackelten.
Das bestens eingespielt und harmonierend wirkende Team unter der Leitung von Marcel Runge als Chef-Sommelier und Restaurantleiter in Personalunion sorgt außerdem dafür, dass das Aqua auch in puncto Wein und Servicequalität höchsten Ansprüchen genügen kann.
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