Perrier_Superbanner

???

Editorial Gusto 2015: Das Bessere ist der Feind des Guten

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,


„Das Bessere ist der Feind des Guten“ lautet ein Sprichwort von Voltaire, das sich auch und vor allem in kulinarischen Belangen immer wieder bewahrheitet, aber in Bezug auf Geschmacksfragen natürlich auch höchst subjektiv ist. Was genau ist gut? Und wie definiert sich besser? Klar ist nur: gut bleibt in der Regel auch gut. Und sehr gut bleibt sehr gut. Erst  wenn das Bessere ins Spiel kommt, verändert sich die Perspektive.

Ähnlich verhält es sich bei der Beurteilung von Küchenleistung, die selbstverständlich zu einem gewissen Teil subjektive Geschmackssache ist, durch bewusste Herangehensweisen aber durchaus objektiviert werden kann. Zu den wichtigsten Parametern zählen hier die Vergleichswerte, die auf einem möglichst großen, möglichst breit gefächerten und ständig aktualisierten Erfahrungsschatz basieren müssen. Im Kontext mit klar festge-schriebenen Kriterien lassen sich die aktuell in den Restaurants gesammelten Erfahrungen dann schon sehr präzise einordnen und auch kategorisch bewerten.

So haben wir in den letzten Jahren viele aufstrebende, noch unbekanntere Köche mit entsprechend hohen Bewertungen bedacht. Köche, die in anderen Führern deutlich schwächer eingestuft waren. Ohne damit eine bestimmte Politik verfolgen zu wollen. Einfach deshalb, weil sie es in unseren Augen verdient hatten. Weil die von ihnen erbrachte Küchenleistung im direkten Vergleich mit den Darbietungen viel namhafterer, allseits hoch angesehener Kollegen auch ohne deren Reputation und Meriten problemlos mithalten konnte. Dass die Konkurrenz-Guides in vielen Fällen nachgezogen sind, werten wir als Bestätigung.

Womit wir wieder beim Guten und seinem Feind, dem Besseren wären. Denn so, wie sich durch ständiges Vergleichen und das konsequente Ausblenden von Ruhm, Lob und Ehre die echten Aufsteiger orten und realistisch einstufen lassen, so wird man auf der anderen Seite natürlich auch erkennen (müssen), wenn die Küchen-Performance eines Altmeisters nicht mehr dem direkten Vergleich standhält. Und das, obwohl die Leistung doch eigentlich konstant hoch ist. Einfach deshalb, weil sich die Kochkunst nun mal immer weiter entwickelt und etwa durch sinnvoll eingesetzte moderne Techniken, neue Erkenntnisse und Experimentier-freude die Benchmark-Parameter verändert werden.

Ein zugegeben fachfremder Vergleich: im Jahr 1932 reichten Ralph Metcalfe 10,64 Sekunden um 100 Meter in Weltrekord-Zeit zu laufen – 77 Jahre später benötigt Usain Bolt für die gleiche Distanz nur noch 9,58 Sekunden. Womit wir weder eine Doping-Diskussion lostreten wollen, noch suggerieren, dass heute tech-nische und chemische Hilfsmittel in der Küche den entscheidenden Unterschied machen. Ganz im Gegenteil. Die Basis ist und bleibt die klassische Küche mit all ihren Vorzügen. Dass sich in den vergangenen 10 Jahren viel verändert hat, dass die State of the art-Küche von heute handwerklich feingliedriger, kontrastreicher, viel-schichtiger und strukturalistischer ist, oft auch mehr Tiefenschärfe und einen höheren Spannungsbogen besitzt, ist jedoch keine Einbildung. Und dass sie mehr kreatives Überraschungspotenzial birgt, liegt ebenfalls auf der Hand. Um zur Riege der absoluten Spitzenvertreter zu zählen, reicht es heutzutage eben nicht mehr, ein erstklassiges Stück Fisch oder Fleisch und etwas Gemüse punktgenau zu garen und eine handwerklich perfekt zubereitete Sauce dazu abzuschmecken.  

Auch wenn das natürlich ganz unbestritten der allerhöchste Genuss sein kann! Und ob das nach unseren Kriterien und Vergleichswerten höher zu Bewertende auch in den Augen unserer Leserinnen und Leser immer das Bessere und Richtige ist, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt. Selbst für uns müssen Köche, die wir aus professioneller Kritiker-Sicht höher bewerten, noch lange nicht dieselben sein, die wir unter ganz persönlichen, subjektiven Gesichtspunkten jederzeit vorziehen würden.

Für den “normalen Gast” fließen zudem von Stil, Ambiente und Flair, bis zu Konzept und Preisen, zu viele Parameter in die Entscheidung ein. Das illustriert auch die Tatsache, dass hierzulande keineswegs Restaurants, die überregional und international am meisten für Furore sorgen, die am besten gebuchten sind. Wir geben, nach unseren Kriterien nach wie vor nur einen Anhaltspunkt zur Kunstfertigkeit und Qualität der Küche. Was für Sie als mündige Restaurantgäste das Gute und das Bessere ist, entscheiden Sie jedoch immer noch selbst. Und das ist auch gut so. Nein: sogar besser!

                                                                               Mit kulinarischem Gruß,
                                                              
                                                                      Markus J. Oberhäußer, Redaktionsleiter

Das GUSTO-Lexikon der Köche

Hier finden Sie einen Großteil der Küchenchefs, deren Restaurants im GUSTO-Führer empfohlen werden. Das Lexikon wird ständig ergänzt.

Das GUSTO-Ranking der besten Restaurants

Hier finden Sie eine tagesaktuelle Übersicht aller im GUSTO-Führer empfohlenen Restaurants - sortiert nach ihrer derzeitigen Bewertung.