Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So | Mittags |
Abends |
Di-Sa ab 19 Uhr, So u. Mo Ruhetag |
Menüs: 315 € |
Im Sommer vergangenen Jahres hatten Tohru Nakamura und Schreiberei-Geschäftsführer Marc Uebelherr den 35-jährigen Dominik Schmid, der schon im Werneckhof mit an Bord war und zuletzt im Kaminzimmer in Finning am Ammersee reüssierte, als neuen Küchenchef im Gourmet-Restaurant im ersten Stock der Schreiberei vorgestellt. Und trotzdem stand natürlich Nakamura bei unserem Besuch höchstselbst mit Kochjacke und Schürze in der Küche und berichtete den Gästen zum Beispiel von der Provenienz einer besonderen Reissorte, als er höchstpersönlich am Tisch die Sauce dazu angießt. Von einem Rückzug Tohru Nakamuras in eine repräsentative Rolle kann also keine Rede sein. Und falls dem doch so sein sollte, dann hätte seine rechte Hand Dominik Schmid die franco-japanische Handschrift mittlerweile so perfekt wie nur möglich verinnerlicht.
Auch im Gastraum ändern sich die Gesichter, nicht aber das Niveau. Markus und Tobias Klaas sind bereits seit über einem Jahr in der Selbstständigkeit angekommen und die drauf folgende Serviceleiterin und Sommelière Julia Kolbeck hat schon im Februar wieder eine neue Rolle als Sommelière bei Jan Hartwig eingenommen. Wie schon nach dem Weggang der Klaas-Brüder hat man die Lücke mit auf mehreren Schultern verteilter Last gefüllt und verweist auf ein Führungstrio aus Restaurantleiter Alexander Will, Serviceleiter Michele Ponzio und Maître Sommelier Christian Rainer. Ob sich dem Gast die jeweiligen Stellenbeschreibungen erschließen, dahingestellt: Es ist angenehm, dass in der Schreiberei viele Leute am Tisch sehr präsent und verbindlich auftreten.
Gewohntes Bild auch beim Aperitif: als einer der Pioniere in Deutschland lässt Tohru Nakamura schon seit Jahren Sparkling Sake servieren, ein sehr spannendes Getränk, für das sich progressive Sake-Braumeister von der Champagne haben inspirieren lassen. Der in der Flasche nachvergorene Sake von Shichiken ist eines der Vorzeige-Produkte seiner Gattung und erinnert mit seinem gleichzeitig cremigen wie kargen Anmut tatsächlich ein wenig an die Chardonnays der Côte des Blancs.
Von dem Konzept, Apéros oder Amuse-Gueules zu schicken, hat man sich offenbar verabschiedet; das Menü beginnt direkt mit der ersten auf der Karte aufgeführten Speise. Das passt hier sehr gut in den Ablauf des Menüs, denn die Portionen sind ohnehin der Länge des Menüs angemessen klein und aus der Feder eines Kochs wie Tohru Nakamura verspeisen wir lieber ein paar hochkomplexe Gerichte mehr als lange um den heißen Brei herum zu snacken.
Daran, dass das Duo aus Tohru Nakamura und Dominik Schmid in allen Belangen – Produkte, Ideen, Umsetzung – mittlerweile zu den Besten des Landes gehört, ließ schon dieser erste Gang keinen Zweifel. Hamachi und Auster wurden gemeinsam als Ceviche verarbeitet und mit einem Schaum aus Buttermilch und Meerrettich sowie verschiedenen Algen als kühles Gericht serviert. Beeindruckend war hierbei, dass die Auster von so festfleischiger Qualität war, dass sie auch klein geschnitten ihren Biss bewahren konnte und das Fischtatar mit ihrer jodigen Süße würzte, ohne es haptisch zu strecken oder zu verwässern. Ein perfekter Auftakt, mit dem es gelang, alle Komponenten präzise herauszuarbeiten und dabei sowohl auf dem Gaumen zu tänzeln als auch lange nachzuhallen zu lassen. Wer braucht schon ein mehrteiliges Fingerfood-Arrangement zum Warmwerden, wenn ein Menü mit so einem Paukenschlag beginnen kann?
Dass es mittlerweile eine große Stärke Nakamuras ist, in den Gerichten alle Komponenten sinnvoll einzubinden, zeigte auch der zweite Gang, eine Tartelette mit Bratkartoffeln, Räucheraal, Gruyère und Essiggurken. Auch wenn das Geschmacksbild selbst durch die im Vergleich zu Auster und Hamachi altbekannten „Alltagsaromen“ weniger überraschend ausfällt, ist das Gericht sehr komplex. Die Bratkartoffeln im Inneren der Tartelette sind von wohliger Röstwürzigkeit, schmecken aber kaum fettig. Das Fett bringt der Fisch mit, dessen Fettigkeit aber natürlich viel reiner und spannender schmeckt, als Bratfett das je könnte, und die Gurken lockern das Gericht mit süßsauren Aromen auf. Nur den Gruyère schmecken wir nicht explizit heraus, aber dem Gericht fehlt es auch so an nichts und es ist von tollen, tragenden Subtönen unterfüttert. Vermutlich schmecken wir den Gruyère also doch irgendwo, ohne ihn jedoch klar benennen zu können.
Richtig komplex wurde es das erste Mal mit einem Reisgericht, das Tohru Nakamuras Küchenphilosophie perfekt auf den Punkt brachte, indem es Reis und Seeigel mit einer französisch gekochten, aber wiederum japanisch abgeschmeckten Sauce in Szene setzte. Bei letzterer handelte es sich um eine Beurre blanc, die zudem mit Crème fraîche und Shio Koji abgeschmeckt war und dadurch eine leicht herb-oxidative Note erhielt, wie es bei klassischen, mit Sherry oder Vin Jaune abgerundeten Saucen der Fall ist. Der Seeigel – der in Meerwasser aus Kanada nach München angeliefert wird, weil Nakamura lieber pazifische als atlantische Exemplare verwendet – war zwar vergleichsweise weich, was aber keineswegs über die herrliche Reinheit und Frische hinwegtäuschen konnte. Seeigel wird mehr und mehr zum Trendprodukt, was viele auch hierzulande mittelmäßige Exemplare auf die Teller spült. Das hier gebotene Tier hatte das Zeug zur Benchmark. Aber: Die Hauptrolle spielte eigentlich der Reis! Nakamura setzt auf die Sorte Koshihikari, bezieht die Körner aus der Präfektur Niigita, und schmeckte sie nach dem Kochen dezent mit Reisessig ab, was den Reis Sushi ähneln lässt. Leicht über handwarm serviert, war das nicht weniger als einer der besten Löffel Reis, den wir je gegessen haben: Luftig, leicht säuerlich, aber nicht kratzig, dafür tiefenentspannt und subtil-duftig, federleicht und trotzdem mundfüllend. In Kombination mit der aromatischen, aber zurückhaltenden Sauce, dem perfekten Seeigel und einem Klecks frischem Wasabi eine rundum vollkommene Speise!
Weiter ging es mit einer Tranche Seeforelle von Niki Birnbaum, deren Fleisch durch die lauwarme Temperierung sehr weich, fast wachsig wirkte. Das passte hier durchaus zur natürlichen Süße des Gerichts, das darüber hinaus auch noch aus Karotten, Karottenstampf, Forellenkaviar und Galgant-Mousseline bestand. Dennoch schaffen es derartige Gerichte mit schmelzig-weichem, fast löffelbarem Forellenfleisch in unseren Augen selten, wirklich zu begeistern. So auch hier: Es fehlte dem Fisch in dieser Zubereitung an Format, um das Gericht zu führen, was den Teller etwas kopflos wirken ließ, fast wie ein Gericht nur mit Beilagen. Ohne Frage war auch das ein hervorragender Teller, der in fast allen Restaurants das unangefochtene Highlight wäre. Aber wenn jemand brillant mit Fisch hantieren kann wie Nakamura und Schmid, fällt ein „nur“ sehr gutes nun mal ein wenig hinter den herausragenden Gerichten ab.
Und herausragend war zum Beispiel der nächste Gang, für den das Team zwei verschiedene Stücke Balfegó-Thunfisch in den Mittelpunkt rückte: ein fettes Stück Toro (Bauch) und ein mageres Stück Akami (Rücken). Beide wurden zu sehr grobem, adäquat dick gewürfeltem Tatar zubereitet und mit Kinako-Tofu aus geröstetem Sojabohnenmehl belegt, der häufig in der japanischen Patisserie eingesetzt wird. Hier ähnelte die dünne Scheibe ein wenig an frittierten Tofu, der manchmal als Suppeneinlage oder in Form von Inarizushi gereicht wird, aber natürlich viel weniger fettig und süß, dafür ganz filigran und subtil nussig war, fast wie Erdmandel. Das aufgenockte Umeboshi-Eis hätte es dazu in unseren Augen gar nicht gebraucht, weil Tofu und Thunfisch auch im Duett mit großer Wucht auftraten. Wir aßen das wunderbar herb-salzig-bittere Eis einfach danach und freuten uns über einen eigentlich gar nicht als solches vorgesehenen Palate cleanser.
Das Brot vorweg gibt es bei Tohru Nakamura schon seit einiger Zeit nicht mehr, dafür aber einen eigenen Brot-Gang, für den zuletzt eine in der Pfanne kross gebratene Scheibe Sauerteigbrot die Basis bildete. Im Mittelpunkt des Tellers stand zudem eine Art Steak Tatar aus Ozaki-Wagyu-Beef, das Nakamura und sein Team erst kurz angrillen, dann grob würfeln, abschmecken, und mit Gelee zu einer kompakten Nocke formen. So gelingt es, die Stärke eines Steak Tatar – also das Zusammenspiel aus Röstigkeit und rohem Fleischaroma – voll auszuspielen, aber die mal zu heiße, mal zu kalte Temperaturproblematik zu eliminieren. Das perfekt zwischen kühlschrankkalt und zimmerwarm temperierte Fleisch konnte so nämlich seinen betörenden Schmelz voll zeigen. Nicht zu unterschätzen war hier auch die Garnitur mit Morcheln, Kapuzinerkresse, Erbsenkresse, ein paar Pünktchen Mayonnaise und drei kleinen, aber effektiven Streifen Paprika, die im Ensemble einen subtil gemüsigen und sehr feinsinnigen Sandwich-Charakter aus dem Gericht kitzelten.
Sehr gelungen war an dieser Stelle auch die Weinbegleitung, die auch unter der Federführung von Sommelier Christian Rainer nichts von ihrer Eigenständigkeit eingebüßt hat. Zum Brot-und-Tatar-Gang wurde ein seltener Weißwein aus Jerez kredenzt, der anders als das Gros der dortigen Produktion nicht aufgespritet wird. Mit seiner dezent oxidativen, aber sehr vitalen Art, konnte der Wein sowohl die Morcheln als auch das Fleisch und das Kresse-Ensemble sehr gut begleiten. Und bot darüber hinaus einen fantastischen Einblick in die aktuelle Wein-Dynamik auf der iberischen Halbinsel.
Weiter ging es auf dem Teller mit Kaisergranat und Topinambur, wobei sich das Krustentier sehr rein und süßlich, aber etwas weicher als andere Exemplare präsentierte. Im Setting dieses Gerichts war das jedoch nicht weiter schlimm, da Nakamura und sein Team genug charakterstarke Nebendarsteller in Szene setzten, um dem Langustino unter die Arme zu greifen. Sehr viel Komplexität erzeugte das Trio aus roher, gekochter und frittierter Topinambur, mit dem alle Facetten des komplexen Gemüses einmal durchkonjugiert wurde: von knackig-säuerlich, fast zitrusartig bis hin zu tief, erdig und an Artischocke erinnernd. Sehr gut harmonierte dazu eine Pil Pil, eine südspanische Ölsauce, die hier zusätzlich mit Pinienkernen, Piment d’Espelette und klein geschnittenen Oktopustentakeln verfeinert war.
Auf maximale Produktqualität setzte wiederum der Hauptgang. Und das obwohl mit Schweinefleisch ein in der Spitzengastronomie fast ausgestorbenes Produkt im Mittelpunkt stand. Das Tier stammte auch nicht etwa aus Spanien oder vom Schweizer Schimmel-Veredler Luma, sondern ist ganz einfach im oberbayrischen Hermannsdorf aufgewachsen, also quasi vor der Haustüre. Und es gehörte zum Besten, was uns bislang in Sachen Schweinefleisch je untergekommen ist! Vor dem Braten reifte der Cut noch in Shiokoji und wurde danach recht natürlich auf dem Grill gegart. Das verlieh dem Fleisch eine subtile Rauchigkeit, bewahrte aber auch seine feine Heu-Aromatik, die vor allem etwas ältere Tiere aufweisen. Ein Ferkel wäre zwar zarter, aber niemals so aromatisch gewesen. Dazu servierte das Team wunderbar knackigen Mönchsbart, der den Heu-Geschmack des Schweinefleischs perfekt aufgriff, sowie kleine Poveraden. Unkonventionell wie großartig war auch die Sauce auf Basis von Schweineknochen mit eingemixten Taggiasca-Oliven und so würden wir heute jede Petition für mehr Schweinefleisch in Spitzenrestaurants unterschreiben.
Sehr gut passte dazu übrigens ein Sake aus dem Holzfass, der spannende Tabak- und Zedern-Aromen mitbrachte und damit gut zum gegrillten Fleisch passte. Grundsätzlich hätte man dazu auch gewohnheitsmäßig einen Rotwein trinken können (man bietet dazu auch einen aus dem Médoc an), aber dem trotz viel Würze eher helltönigen Gericht fehlte auch nichts ohne. Ja, eine Weinbegleitung ganz ohne Rotwein ist möglich, ohne dass ein Gefühl des Peaks fehlen würde…
Bei dem als handliches Dreierlei servierten ersten Dessert drehte sich alles um das Thema Zitrusfrüchte: eine kleine Tartelette im Stil einer Tarte au Citron, die allerdings mit Yuzu zubereitet war, ein Madeleine mit Zitrussaft, sowie ein kleines Pfannkuchen-Sandwich mit Kumquat und Azukibohnenpaste. Das Hauptdessert bestand im Wesentlichen aus einer Art Eiskonfekt auf Basis von geröstetem Reis, das mit mariniertem Apfel, rehydrierten Rosinen und Pekannuss begleitet wurde. Amazake, eigentlich ein Getränk aus fermentiertem Reis, gab dem Gericht eine schöne Tiefe und magischerweise schwerelose Intensität. Irgendwo scheint auch Salz im Gericht verarbeitet zu sein, was das Gericht sehr griffig macht. Und so endet das Menü, so wie es ganz ohne Apero-Snacks und Amuses angefangen hat, passenderweise auch ohne Petits Fours. Die braucht nach solch einem eindrucksvollen Menü mit süß-herben Paukenschlag als Schlussakkord ohnehin kein Mensch mehr.
Und überhaupt ist der Punkt gemacht: Tohru Nakamura und Dominik Schmidt gelingt es herausragend, die mittlerweile nicht mehr ganz neue franco-japanische Küche mit Energie und Leben zu füllen. Das liegt vor allem daran, dass sie sich nicht auf deren Klassiker à la Miso-Hollandaise, Dashi-Vinaigrette und Hamachi „süß-sauer“ beschränken, sondern mit ihrer Küche tatsächlich nahezu bilingual arbeiten. Sehr gut war in diesem Sinne der Reisgang – das vielleicht japanischsten Gericht, das wir bislang aus der Feder von Tohru Nakamura probieren durften. Das beste Beispiel ist aber ausgerechnet der Hauptgang, der gar kein plakativ japanisches Produkt zeigte, aber durch seine Ruhe und konzentrierte „Helltönigkeit“ dennoch irgendwie japanisch wirkte.
Vielleicht braucht es für all das neben dem reichen Erfahrungsschatz des Deutsch-Japaners Tohru Nakamura auch dessen Selbstbewusstsein. Im Gegensatz zu den unzähligen anderen Vertretern der franco-japanischen Küche muss er natürlich niemandem beweisen, Japan verstanden zu haben. Das gibt ihm die Freiheit, besonders frei und kreativ mit der japanischen Küche zu hantieren – zum Beispiel mit Oliven! Weil es ihm nach bisweilen etwas zu bunt und unruhig wirkenden Kreationen früherer Jahre nun außerdem bravourös gelingt, sich auf seinen Tellern voll auf das Wesentliche zu fokussieren, zögern wir nun nicht mehr, seiner Kochkunst die Höchstbewertung zu verleihen.
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