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Schon wieder eine äußerst spannende Neueröffnung in der Frankenmetropole Nürnberg, die sich immer mehr zum individuellen kulinarischen Hotspot entwickelt. Der tonangebende Mann am Herd hinter dem stylischen neo-brutalistischen Chef‘s-Table-Tresen ist René Stein, der das Frankenland bereits im Schwarzen Adler in Kraftshof vor den Toren Nürnbergs mit seiner durchdachten modernen Küchenstilistik bereicherte. Nach Nürnberg City geholt hat Stein der Gastronomie-Unternehmer Jens Brockerhof, der seinerzeit gemeinsam mit Felix Schneider das Sosein zu einer der großen Adressen für naturnahe Küche gemacht hat.
Auch wenn René Stein grundlegend anders kocht als Felix Schneider und man das Tisane keinesfalls als Fortsetzung des Sosein verstehen darf, liegt doch der Gedanke nahe, dass man nach dessen Aus zumindest aus strategischen Gründen wieder ein Spitzenrestaurant als Aushängeschild des Unternehmens (zu dem auch ein erfolgreiches Catering, eine Patisserie und die gegenüber des Tisane eröffnete Brasserie Nitz gehört) am Markt platzieren möchte. Dass das Tisane das Zeug zum Flaggschiff hat, daran lassen bereits die ersten Kleinigkeiten keinen Zweifel. Neben hinter dem Tresen über Holzkohle gegrilltem und mit Bärlauch und hausgemachtem Quark serviertem Brokkoli hat uns vor allem eine mikrometerdünne aber geschmacksexplosive Schweinehaut begeistert. Ein reduzierter, hochpräziser Auftakt, der sich direkt ins kulinarische Langzeitgedächtnis einbrennt!
Überhaupt beschränken sich die Gerichte bei René Stein meist auf zwei, drei stichhaltige Aromen. Viel wichtiger als das was, erscheint das wie. Komplexität und Tiefenschärfe generiert er auf eindrucksvolle Weise über Prägnanz, nicht durch Vielfalt. So schmeckte ein Pilzgang mit Klapperschwamm, Egerlingen, Champignons und Topinamburvelouté nicht nach besonders viel, katapultiert uns durch seine austarierte Perfektion aber in höchste Genusssphären – schlotzig, aber nicht breiig, süßlich, aber nicht zuckrig, umamibehaftet, aber nicht schwer, spritzig-säurehaltig, aber nicht kratzig. Auch die verschiedenen Pilze steuerten Komplexität bei, die geschwenkten Klapperschwämme erinnern dezent an Kalbfleisch, die knackig-frischen rohen Champignons erzeugen die Illusion von Vin Jaune aus dem französischen Jura (oder ist so ein rarer Wein vielleicht doch in die Velouté gewandert?).
Dass René Stein es versteht, hervorragende Seefische nach Nürnberg zu karren (und dass die mangelnde Küstennähe heute nur noch eine schlechte Ausrede für unspektakuläre Meeresprodukte ist), bewies der Zwischengang mit Seeteufel und Kaffee-Beurre-Blanc. Einmal aufgrund der fleischigen faustdicken Tranche, aber auch dank der würzigen, aber nicht plakativ nach Kaffee schmeckenden Buttersauce, die Rösigkeit mit selbstbewusster Säure vereinte. Perfekt abgestimmt war hier auch die Weinempfehlung von Sommelière Sonja Mohr: ein Demi-Sec Chenin Blanc aus Vouvray, der mit seinem Süße-Säure-Spiel an die maximal ausgereizte, fast extreme Sauce anknüpfen konnte. Ein fordernder Gang, der so aber Sinn ergibt!
Genial ist auch der Einsatz von Gewürzen. Gerade deswegen, weil René Stein kaum welche verwendet – wenn dann aber mit maximaler Treffsicherheit. Wie etwa die Koriandersaat in der Schweinebrühe mit Sauerkraut, hinter der sich selbst geerntete und frisch gepickelte Saaten verbargen, die aromatisch ziemlich genau zwischen Koriandergrün und Saat zu verorten sind. So sorgte das Gewürz für Frische, ohne die Penetranz von Korianderkraut. Ähnlich konnte eine Prise gestoßenen Tasmanischen Pfeffers ein Gericht mit Sellerie und Castel Franco bereichern, da die typische Brombeeraromatik der Pfeffersorte dem Gericht eine subtile Fruchtigkeit einhauchte, ohne es zu überladen.
Dass René Stein auch ein grandioser Menü-Dramaturg ist, bewies der sensationelle Sorbet-Gang vor dem Hauptgang, der im modernistischen Ambiente des Tisane fast wie eine augenzwinkernde Reminsizenz wirkt. Aromatisch setzte das Sorbet aus gegrillter Ananas mit Olivenöl und getrockneten, leicht speckigen Olivenkrümeln aber Maßstäbe, weil mit Salz (Olive), Süße (Ananas), Säure (Ananas), Schärfe (Olivenöl) und Umami (Olive) alle Sinne perfekt im Lot sind. So einfach kann Vollkommenheit sein. Ähnlich puristisch präsentierte sich der Hauptgang, der im Wesentlichen aus im Wermutsud pochierter und anschließend abgeflämmter Taubenbrust bestand, die lediglich mit einer leichten Jus serviert wurde, durch die Garung im aromatischen Fond aber selbst genug Eigengeschmack mitbrachte, um Beilagen überflüssig zu machen. Müßig zu erwähnen, dass das Fleisch des französischen Geflügels satt rosarot auf den Punkt gegart war.
Dass wir bei so viel Schwärmerei die Küche des Tisane derzeit „nur“ bei 8+ Pfannen sehen, liegt vor allem an zwei Gängen, die nicht mit den oben genannten mithalten konnten. Zwar war ein Gang mit gebratener Jakobsmuschel, Holunderessigsud und gerösteter Hefe durchaus klug konzipiert, litt aber ein wenig unter der lauwarmen Darreichungsform. Wir vermuten hier einen bewusst kühlen Gang, da Stein zimmerwarme Teller und einen nur leicht temperierten Sud verwendete. Da auch die Jakobsmuschel eher handwarm auf die Gabel kam, wirkte das alles zu dumpf, zu verschwommen und ließ die gnadenlose Präzision von Taube oder Seeteufel vermissen. Ähnlich präsentierte sich ein Gang mit scharf gegrillter und (bewusst) erkalteter Schwarzwurzel, die so ihre einmalige süßliche Nussigkeit nicht ganz ausspielen konnte.
Das Dessert wurde auf den ersten Blick etwas sparsam abgehandelt, Zyniker könnten behaupten, Stein schicke gar kein Dessert, sondern gehe direkt zu den Petits Fours über. Doch egal wie man dazu sagen möchte: dahinter verbirgt sich Patisseriehandwerk aller erster Sahne! Im Zentrum stand eine rösche Buchtel, die mit allerlei Schälchen und Näpfchen zum Tunken, Dippen, Bestreichen und Teilen begleitet wurde – wie in einer Mezze-Bar. Neben der fulminant-hefigen Buchtel konnten wir uns vor allem für die Vanillesauce mit Eigelb und Kokosmilch begeistern, die mit ihrer leicht nussigen Beinote zu den besten gehörte, die wir jemals genießen durften. Großartig war auch ein dünner, aber ultrakonzentrierter Cracker mit Butter, Kakao, Salz und Bier, der mit seinem Spiel aus Umamiwürze und Süße Assoziationen an ausgedehnte Sonntagsfrühstücke erweckte, bei denen irgendwann die Nutella auf dem Laugencroissant landet. Selten ist uns ein Dessert so sehr unter die Haut gegangen!
René Stein gelingt es, gleich von Anfang an Vollgas zu geben. Bei einigen Gängen rangierte das Tisane für uns schon auf dem nächsthöheren Bewertungsniveau. Betrachtet man den Mut, auch mal eigensinniger und ohne vorauseilende Gefälligkeit zu kochen, wie etwa bei der minimalistischen Taube, der ausgereizten Kaffee-Beurre-Blanc oder dem scheinbar einfachen Dessert, ganz ohne Instagram-Faktor, erinnert René Steins Menü dann – bei völlig anderem Stil – doch ein wenig an die Kompromisslosigkeit der einstigen Sosein-Küche. Gut möglich, dass Jens Brockerhof seine Küchenchefs einfach mit dem richtigen Selbstbewusstsein auszustatten weiß. Selbstbewusst ist auch das Ambiente, das mit Neonröhren, Sichtbeton, schnellem Duzen und lautem Old-School-Rap, keine Anstalten macht, sich irgendwem anzubiedern. Weiter so!
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