Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So | Mittags |
Abends |
Di-Fr ab 18 Uhr, Sa von 12-15.30 Uhr u. ab 18.30 Uhr, So u. Mo Ruhetag |
Menüs: 292-380 € |
Als Tim Raue, der nach wie vor nicht nur als Namensgeber hinter dem urbanen Gourmetrestaurant nahe des historischen Checkpoint Charlie in Berlin Mitte steht, sondern auch als Mastermind hinter der Küche, vor geraumer Zeit verkünden ließ, dass es hier ab sofort ein „Berlin-Menü“ mit heimischen Produkten und Geschmacksbildern geben werde, wurde das vielerorts fast wie eine Zäsur gewertet. Als ob der Meister mit der eigenen, unverkennbaren Handschrift, die bislang immer stark von asiatischen Aromen und Produkten, insbesondere den unterschiedlichen Länderküchen Chinas und Thailands inspiriert war, plötzlich eine völlig andere Stilrichtung eingeschlagen hätte. Das ist natürlich nicht so. Und es gibt hier unter dem Label „Koi“ auch nach wie vor ein Menü, das ausschließlich mit den stilprägenden asiatisch inspirierten Gerichten gespickt ist und von der Küche selbst als „kulinarischer Meltingpot von thailändischer Aromatik, chinesischen und japanischen Zutaten“ bezeichnet wird. Auch das vegane Menü ist weiterhin zu haben.
Wer nicht nur den Koch, sondern auch den Unternehmer Tim Raue und seine verschiedenen Gastronomieprojekte etwas kennt, dem wir das neue Menü „Kolibri X Berlin“ auch gar nicht mal so revolutionär erscheinen. Es ist als eine Hommage an die Heimat Berlin zu verstehen ist und soll die regionalen Zutaten, Speisen und Geschmäcker aus Kindheitstagen mit Tim Raues prägnanter asiatisch geprägter Würzwelt und den maßgeblichen Eckpfeilern seiner Küche, nämlich Süße, Schärfe und Säure zusammenbringen. Im Grunde konzeptionell ganz ähnlich, wie das in den letzten Jahren unter der Federführung von Tim Raue auch schon in der Villa Kellermann in Potsdam gemacht wurde – nur eben nicht ganz so detailaufwendig und zu moderaten Preisen für ein breiteres Publikum zugeschnitten. Auch dort hat uns das unter der Ägide des ausführenden Küchenchefs Christopher Wecker ausgesprochen gut gefallen, denn Tim Raue schafft es ohnehin wie kaum ein anderer Küchenchef hierzulande, den unterschiedlichsten Küchenstilen das markante Branding seiner Handschrift zu verleihen.
So auch dem von mal mehr und mal weniger typischen „Berliner Leibspeisen“, zumindest aber regionalen Hauptprodukten oder Leitmotiven durchzogenen Menü „Kolibri X Berlin“ im Gourmetrestaurant Tim Raue. Los ging es wie gewohnt mit allerhand synchron aufgetragenen Kleinigkeiten, die in ihrer Architektur sehr schlicht, in ihrer geschmacklichen Wirkung aber umso eindrücklicher sind. Der erste Gang war auf der einen Seite im Grunde ganz klassisch, auf der anderen dann eigentlich doch wieder nicht, denn der bewährte Akkord von Kaviar, Räucherfisch und einer säuerlichen Komponente wurde hier durch drei kleine Nocken Imperial-Kaviar der hauseigenen Selektion auf einer mit Essiggurkengelee überzogenen milden Mousse von geräucherten Sprotten inszeniert. Akzentuiert von akkurat neben und um die Kaviarnocken applizierten Tupfen aus Joghurt- und Dillcreme ergab das einen sehr fein gezeichneten herzhaften Einstieg auf hohem Niveau.
Dem folgte der in der Vergangenheit bereits im fernöstlich inspirierten Koi-Menü begeisternde „Sangohachi-Zander“, dessen Bezüge zu Berlin nun im Menü „Kolibri X Berlin“ scheinbar durch die heimische Herkunft des Fisches selbst, sowie durch dessen tonangebende Begleiter Sauerkraut und Erbse hergeleitet wurden. Was ja durchaus plausibel erscheint. Aromatisiert ist dieses fantastische Gericht um den über zwölf Stunden in Sangohachi-Paste marinierten und im Dampf zum soft aufblätternden festfleischigen Musterbeispiel eines perfekten Zanders aufbereiteten Fisch durch Ananas und peruanische Minze am fermentierten Kraut, ein grünes Thai-Chili-Gelee, vor allem aber durch die mit Sauerkrautsaft und Öl von peruanischer Minze aromatisierte Beurre blanc, die meisterliches Format besitzt: mit Tiefe und Spannung, mit säuerlichem Zug und buttrigem Schmelz.
Wie gut es Tim Raue seit jeher gelingt, den Charakter unterschiedlicher Länderküchen oder bestimmter Traditionsgerichte herauszuarbeiten und den Gerichten trotzdem die persönliche Handschrift zu verleihen, ihnen also den ganz eigenen Stempel aufzudrücken, das bewiesen er und sein ausführendes Team dann einmal mehr mit dem „Garnelencocktail KaDeWe“. Als Hommage an einen Klassiker aus der Feinkostabteilung im berühmten Kaufhaus des Westens, den aber auch jeder Nicht-Berliner aus den Besseresser-Hotspots der 70er hierzulande kennt. Der nicht etwa stilecht im Cocktailglas, sondern apart und gourmetlike auf dem Teller angerichtete Evergreen, zeichnete sich geschmacklich in der Tat durch den oldfashioned wirkenden Akkord von Krustentierfleisch, Cocktailsauce, Kopfsalat und Mandarinenfrucht aus, dem aber durch die Schärfe von fermentierten roten Chilis, die Säure von Sauerklee, sowie die Mineralität von Saiblings- und Fliegenfischrogen, auch raffinierte markante Akzentuierungen und Zwischentöne angedichtet wurden. Außerdem war das Ganze modern und differenziert konzipiert und angerichtet: die Mandarine etwa fand in unterschiedlichen Texturen statt, unter anderem als Gelee, das die übrigen Komponenten als dünner Ring einfasste.
Auch der Königsberger Klops hatte das Zeug dazu, Traditionalisten wie Modernisten gleichermaßen glücklich zu machen. Der Kalbfleischklops selbst, der schon immer eines von Tim Raues Lieblingsmotiven war, ist aus einer Farce von Kalbskopf, Zunge und Bries vom Kalb zubereitet und nicht nur wunderbar zart, locker und saftig, sondern auch sehr eigenaromatisch. In der Gourmetversion liegt er mit einem würzigen, fleischig-weich eingelegten Kapernblatt getoppt in einer feinsäuerlich abgeschmeckten pfeffrigen Rahmsauce und wird von einem mit Rote Bete umwickelten Zylinder aus buttrigem Kartoffelpüree begleitet. Auch das ist ein im Grunde recht klassischer, bekannter und eingängiger Akkord, bei dem aber eben alles so exakt gearbeitet und gestochen scharf in Szene gesetzt ist, dass ein markantes, fein gezeichnetes und auf harmonische Spannung angelegtes Geschmacksbild mit raffinierten Nuancen entsteht. Und so wird auch hier ein eigentlich biederes, volkstümliches Gericht in neuem Licht und zeitgemäßem Gewand präsentiert, ohne dass seine DNA maßgeblich verändert wurde. Eben typisch Tim Raue.
Und dieses Kunststück gelang gleichermaßen beim Hühnerfrikassee, das tatsächlich auch als sehr gegenständliche und süffige Melange aus gezupftem Hühnerfleisch, Reis, Erbsen und Möhrchen präsentiert wurde. Allerdings kam die charakteristische rahmige Saucenkomponente hier als schaumige Espuma merklich raffiniert und sublimiert ins Spiel. Und mit schwarzer Wintertrüffel war natürlich auch ein Edelprodukt mit von der Partie – gewöhnlich war das Gericht also erwartungsgemäß nicht, dafür außergewöhnlich fein und elegant.
Mit dem Wagyu-Beef-Gulasch im Hauptgang schließlich präsentierte uns das Team Raue die ambitionierte Weiterentwicklung eines Gerichts, das uns vor zwei Jahren in puristischerer und etwas bodenständigerer Version schon im Repertoire der damals noch von Tim Raue kuratierten Villa Kellermann begeistert hatte. In der Hauptsache geht es um geschmorte Backe des hochgradig fettmarmorierten Edelrindes, die mit roter Paprika, pikanter dunkler Sauce, Sauerrahm und dem besonderen bitterherben Twist durch Orangenaromen auf sehr spannende Art das Gulasch-Thema aufgreift. Hier nun wurde das mit einer von grünem Szechuanpfeffer und der koreanischen Gewürzpaste Gochujang geprägten Jus glasierte und mit knusprigen Reisflakes applizierte Fleisch nebst seinen Begleitern noch von zwei weiteren Tellerchen eskortiert, die ähnliche Motive aufboten. Auf dem einen die dünnen Scheiben eines gebeizten und roh marinierten Bürgermeisterstücks vom Wagyu-Rind, appliziert mit geschmorter grüner Paprika, roter Paprikasauce mit geräucherten Chilis, Beeftea-Gelee und Senfkohlkresse. In einem weiteren Schälchen ein flüssiger Beeftea, verfeinert mit Orangenöl und angereichert mit einer Einlage aus zarten Stücken geschmorter Short Rib, eingelegter grüner Paprika sowie mit Kreuzkümmel und Paprika mariniertem Weißkohl. In Summe sehr facettenreich, kraftvoll zupackend, aber mit feiner Linienführung und hoher Tiefenschärfe, ganz zweifellos ein Gericht, das ebenfalls unsere Höchstbewertung verdient.
Der Salzzitronen-Slushi mit Merengue und Galia-Melone hätte das Zeug zum ikonischen Refresher haben können, war aber nicht ganz optimal proportioniert, so dass die salzig-säuerliche Komponente etwas zu ruppig und dominant das Geschehen dominierte. Etwas mehr von der schmelzigen Süße und Frucht von Merengue und Melone und die Sache wäre nicht nur hochgradig spannungsgeladen, sondern auch rundum harmonisch gewesen. So schmeckte es auf Dauer etwas anstrengend. Alles andere als anstrengend war der Genuss der „Kalten Liebe“, also quasi dem Gegenentwurf zur „Heißen Liebe“, bei der die Himbeer-Komponenten kalt und das obligatorische Vanilleeis durch sublimeres, mit Himbeersauce glasiertes Joghurteis ersetzt wurde. Die laktische Säure vom Joghurt fand auch als Creme statt; außerdem wurde durch mit Rosenwasser marinierter Rambutan-Frucht und Kaffirlimettenöl viel Frischemoment addiert und von mit Pondicherry-Pfeffer aromatisiertem Baiser auch noch ein verwegener Twist eingebaut.
Fazit? Raue bleibt Raue, ganz egal in welchen Gefilden er sich mit seiner Küche auch bewegt. Wir sind bereits äußerst gespannt auf den nächsten Besuch und regen zudem an, auch mal das zurecht schon vor Jahren zum ikonischen Signature-Dish avancierte Eisbein, ein weiterentwickeltes Rezept von Tim Raues Großmutter Gerda, ins Berlin-Menü zu integrieren. Auch dafür findet Restaurantleiter und Sommelier Raphael Reichardt im bestens bestückten und sehr fair kalkulierten Sortiment problemlos den passenden Wein oder auf Wunsch auch Sake, wie ganz generell die begleitenden Empfehlungen im Glas immer sehr treffsicher ausgewählt sind.
Um die Pins anklicken zu können, müssen Sie den Zielort näher heranzoomen.