Perrier_Superbanner

???

Fotos: Tim Raue

Tim Raue

Rudi-Dutschke-Str. 26
10969 Berlin (Mitte)
030-25937930

aktualisiert: 06 / 2025
Mo Di Mi Do Fr Sa So
Mittags
Abends
Di-Fr ab 18 Uhr, Sa von 12-15.30 Uhr u. ab 18.30 Uhr, So u. Mo Ruhetag
Menüs: 292-380 €

Trotz unruhiger Zeiten und gravierender Veränderungen in Berlins Gastronomielandschaft konnte sich Tim Raues schnörkellos eingerichtetes Lokal am Checkpoint Charlie als einer der erfolgreichsten und langlebigsten Hauptstadt-Spots für Gourmets etablieren. Seit der umtriebige Chef vor etwa drei Jahren damit begonnen hatte, kulinarische Impulse seiner Geburtsstadt in eines der Menüs zu integrieren und damit den Trend zur Heimatküche aufnahm, unkten manche Skeptiker, der Ausnahmekönner würde seine fernöstlich geprägte Küchenstilistik und damit seine eigentliche Domäne vernachlässigen.

Doch wer Tim Raue und seine diversen gastronomischen Engagements über die letzte Dekade hinweg genauer verfolgt hat, der weiß genau, wie gut der Chef darin ist, nahezu jeder Weltküche dieses Planeten seine persönliche Handschrift zu verleihen. So auch Königsberger Klopsen, Eisbein oder Bienenstich, die aus der Hand des Ausnahmekönners nicht einfach nur sehr hohes Niveau, sondern eben auch eine ganz eigene Note bekommen. Und die Grenzen sind ohnehin fließend: Das Menü „Kolibri X Berlin“ ist als eine Hommage an Raues Heimat Berlin zu verstehen, soll die regionalen Zutaten, Speisen und Geschmäcker aus Kindheitstagen mit Tim Raues prägnanter asiatisch geprägter Würzwelt und den maßgeblichen Eckpfeilern seiner Küche, nämlich Süße, Schärfe und Säure zusammenbringen.

Die beiden Menüs „Koi“ und „Kolibri“, die noch stärker von asiatischen Aromen und Produkten, insbesondere den unterschiedlichen Länderküchen Chinas und Thailands inspiriert sind, gibt es weiterhin. Das Erste repräsentiert gewissermaßen verschiedene Klassiker aus dem Repertoire von Tim Raue, während das Zweite all die neueren Inspirationen versammelt. Wobei auch hier nichts in Stein gemeißelt ist und sich die Übergänge fließend gestalten. Den Auftakt bildet unabhängig von der persönlichen Auswahl immer die Ansammlung von acht zeitgleich aufgetragenen Apéro-Snacks, in deren Mitte diesmal ein scharf-saurer und sehr intensiver „Meeressud“ mit Sternanis und Limette stand. Umspielt wurde dieser mit einigen bereits bekannten, aber immer wieder gerngesehenen Petitessen wie dem Letscho-Marshmallow oder dem Gurkensalat mit Knoblauch und Chili. Stete, wenngleich manchmal nur dezente Veränderungen gibt es auch hier, wie etwa Reh, Matjes oder Wasserspinatstiele verdeutlichten. Jedenfalls bildete dieser präzise umgesetzte und kompilierte Auftakt auch diesmal all die Tugenden ab, die auch das folgende Menü durchziehen.

Schon der erste Gang demonstrierte einmal mehr, dass es Tim Raue wie kaum einem Zweiten hierzulande gelingt, Aromen in glasklarer Trennschärfe zu inszenieren. Andernfalls würde die komplexe Kreation aus Kopfsalat, grünem Curry und geröstetem Reis angesichts ihrer großen aromatischen Kontraste ihren zauberhaften Reiz, an dem auch ein ätherischer Duft von Kokosnuss seinen Anteil hat, einbüßen. Gerade die oft vernachlässigte und hier so unendlich diffizil realisierte Temperierung, von der die Kokosnuss in Form von geeisten Perlen und geschäumter Mousse gleichermaßen profitiert, zeugt vom Können des Meisters. Das ungeheuer subtile Spiel mit Würze von rotem Chili und Ingwer-Kombucha verleiht dem Gang zudem einen verblüffend vielseitigen Charakter, kommen doch auch säuerliche und süßliche Akzente mit wohldosiertem Umami perfekt zur Geltung. Winzige Details wie Öl von Kaffirlimette und Koriander lassen den immensen Aufwand und das Maß an geistiger Durchdringung erahnen, die für so ein Meisterwerk vonnöten sind.

In deutlich reduzierterer Form, aber auf demselben überragenden Niveau, kam danach Seehecht in Begleitung einer geschäumten und dennoch unerhört intensiven Dashi-Beurre-Blanc angeschwommen. Zunächst gedämpft und dann gebraten, zaubert der Meister daraus einen beispiellos saftigen Fisch, dessen immer noch leicht glasige Konsistenz Bände spricht. Mehr an Entourage als ein animierend mit Estragon abgeschmecktes Selleriepüree, etwas Anisgrün und Schmorgurke mit Senfsaatsud sowie Spitzpaprika brauchte dieser großartige puristische Gang nicht, um voll einzuschlagen.

Genauso herausragend gelang der weiße Spargel, der früher ein eher seltener Gast in Raues Küche war, und die mittlerweile etwas stärkere Hinwendung zu Saisonalität und regionalem Gemüse offenbarte. Gegart mit Holunderblüte und Knoblauch erlangte der Spargel eine zart knackige Konsistenz, die einen wohltuenden Kontrast zur wunderbar süffigen Koji-Beurre-Blanc einging. Cremes von Steinchampignon und Wurzelgemüse zeugten von einer durchdachten Verfeinerung, doch ein geradezu fabelhaftes sensorisches Gespür bewies das Team mit reizenden Akzenten von Amalfi-Zitrone und Peperoni, sodass man auch diesem Gang ohne Überhöhung das Prädikat „Geniestreich“ verleihen kann.

Nicht zuletzt dank der nahezu ohne Kohlenhydrate auskommenden Menüfolge konnte anschließend die Intensität mühelos angezogen werden, ohne ein verfrühtes Sättigungsgefühl zu riskieren. Andernfalls hätte der nachfolgende gebutterte Sud von Krustentieren mit Orangenöl und Koriander vielleicht eher belastend gewirkt, doch als Aufguss für eine Einlage von sonnengereiften sizilianischen Tomaten, Physalis, Kalamansi und perfekt gegrillter Mazara-Garnele als Krönung, konnte man sich nichts Schöneres vorstellen. Wohlige Intensität, subtile Säure, faszinierende Fruchtigkeit und vollkommene Harmonie im Ergebnis, ließen einmal mehr keine Wünsche offen!

„Junges Huhn auf kantonesische Art“ wurde in zwei Varianten gereicht. Zunächst auf einem Deckel die frittierten und mit Sirup von grünem Chili und Knoblauch glasierten Keulen zusammen mit Fingerlimes als ausgezeichnetes Fingerfood. Im Anschluss (darunter im Schälchen) die Brust in einem Hühnersud von maximaler geschmacklicher Tiefe. Die umgebenden Begleiter wie Pak Choi, Frühlingslauch, Zitronengras und Ingwer waren dabei so stilecht eingesetzt, dass man nicht auf die Idee käme, das profunde Wissen des Chefs rund um die fernöstlichen Aromenwelten in Frage zu stellen.

Die würdige Krönung des Menüs erfolgte in bester Dramaturgie zum Hauptgang, wo Tim Raues Team mit dem „Hase Sichuan“ zudem ein sehr seltenes Produkt auf den Teller zauberte. Die superbe Liaison französischer Elemente mit asiatischer Würze von Sichuanpfeffer hätte dabei kaum hinreißender geraten können. Der bleu gebratene und so seinen vollherben Geschmack am besten zur Entfaltung bringende Hase in luxuriöser schmelziger Entenleberrahmsauce und würzig-tiefer Wildjus, wurde dabei von fruchtigen Elementen wie Bergamotte und Johannisbeere geschickt aufgelockert. Doch auch die Ergänzung mit sautiertem Kohl als knackiger und sehr bekömmlicher Begleiter machte in diesem Kontext durchaus Sinn.

Ein lediglich optisch harmlos anmutendes Pré-Dessert entpuppte sich danach als Sorbet von Granny Smith unter einer leicht gesalzenen Scheibe Baiser. Dabei wurden Brunoises und Perlen des grünen Apfels überraschend mit markiger Schärfe von Jalapeño und spritzigem Tonic begleitet. Weniger grell und etwas mehr auf Harmonie ausgerichtet, erwies sich die Mango im anschließenden Nachtisch als sehr typisch für die Küche von Tim Raue, der seit einigen Jahren stark auf fruchtbetonte Menüabschlüsse setzt. Cremeux und Gel dieser vollaromatischen Mango baten hier zu einem Dialog mit Sorbet von Kaffirlimette, und allzu viel fruchtige Gefälligkeit wurde mit Chips von geröstetem Reis, einem Gurkensud, sowie verblüffend intensivem Vanilleduft spannungsreich unterbunden, so dass ein großartiges, leicht und frühlingshaft umgesetztes Finale den Schlusspunkt eines ausnahmslos beeindruckenden Menüs gab.

Schon mehrfach haben wir hier in den vergangenen Jahren auf sehr hohem Niveau gegessen. Die jüngste Darbietung wirkte jedoch so, als habe das Team Tim Raue mit dem gebotenen Maß an Klarheit, Trennschärfe und Kreativität nochmal ein neues Level erreicht. Die geradezu genialen Würzsaucen, die trotz aller Kraft stets nur eine komplementäre Wirkung entfalten, bilden seit jeher ein Markenzeichen der Küche, doch diesmal kratzten sie für unsere Begriffe so sehr an der Perfektion wie noch nie zuvor. Tim Raue beherrscht die Kunst, ein Menü so klug zu dosieren und mit ausgesprochen variabler Aromatik das Interesse des Gastes hochzuhalten, wie hierzulande vielleicht nur eine Handvoll weiterer Vertreter seiner Zunft. Trotz teils markiger Kontraste beeindrucken die Kreationen mit einer beispiellosen Ausgewogenheit und Balance. Sollte sich dieser Eindruck in der kommenden Testsaison verfestigen, wäre ein Bonuspfeil zu den 10 Pfannen und damit die Maximalbewertung die logische Konsequenz.

Der Service agiert seit jeher sachlich und routiniert, erweist sich aber stets als aufmerksam und flink, ist außerdem bestens informiert und kann praktisch alle Fragen zu den Kreationen wie aus dem Effeff beantworten. Wenn man auch noch die umfassende Weinkarte bedenkt, die praktisch kaum Wünsche offenlässt und gewissermaßen eine eigene Handschrift hat, kann das Restaurant Tim Raue mit Fug und Recht als Spitzenrestaurant auf internationalem Niveau bezeichnet werden.

Um die Pins anklicken zu können, müssen Sie den Zielort näher heranzoomen.



Das GUSTO-Lexikon der Köche

Hier finden Sie einen Großteil der Küchenchefs, deren Restaurants im GUSTO-Führer empfohlen werden. Das Lexikon wird ständig ergänzt.

Das GUSTO-Ranking der besten Restaurants

Hier finden Sie eine tagesaktuelle Übersicht aller im GUSTO-Führer empfohlenen Restaurants - sortiert nach ihrer derzeitigen Bewertung.