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Nicht zuletzt durch seine stetig zunehmenden TV-Auftritte ist der Koch, Gastronom und vielseitige Unternehmer Tim Raue in den vergangenen Jahren auch außerhalb der Gourmet-Zielgruppe zu hohem Bekanntheitsgrad gekommen, so dass er mittlerweile ganz automatisch immer seltener in dem nach ihm benannten Hauptsitz in der Rudi-Dutschke-Straße in Berlin-Mitte anzutreffen ist, den seine ehemalige Frau Marie-Anne Wild als Eigentümerin und zugewandte Gastgeberin leitet. Doch das ist hier überhaupt nicht spielentscheidend, denn Raue ist nicht nur ein großartiger Koch mit einer ganz eigenen individuellen Handschrift, sondern war schon immer auch ein guter Teamplayer und Coach. So hat er sich als Mastermind hinter der Marke „Tim Raue“ für die verschiedenen Restaurants, die seinen Namen tragen, frühzeitig fähige Mitarbeiter herangezogen, die seine Art zu kochen perfekt aufs Porzellan bringen können. Und manchen ist die kulinarische DNA Tim Raues so sehr in Fleisch und Blut übergangen, dass sie zwischenzeitlich selbst kreativen Output liefern können.
In dem passend zur Küche elegant schlicht und schnörkellos aber trotzdem sehr markant gestalteten Restaurant Tim Raue, wo seit Jahren präzise und kreativ umgesetzte, vor allem aber spannend unkonventionelle Gerichte erdacht und gekocht werden, deren Dreh- und Angelpunkt fernöstliche, insbesondere chinesische Aromen und Produkte sind, ist das Küchenchef Phillip Bendel. Der bringt zusammen mit seinem eingespielten Team das spezialisierteste und elaborierteste Kulinarium aller Tim-Raue-Destinationen in angenehm zügiger Taktung und trotzdem in Perfektion aufs edle Porzellan. Und hat sicher seinen maßgeblichen Anteil daran, dass wir die Küche in diesem Jahr nun erstmals mit unserer Höchstnote von 10 Pfannen bewerten. Denn den Ausschlag dafür gab neben wie immer jeder Menge Originalitätsbonus für den eigenständigen Stil und die mutig unangepassten Ideen eben auch die in unseren Augen gestiegene handwerkliche Perfektion und vor allem die aromatische Feinabstimmung der Kompositionen.
So erlebten wir beim jüngsten Besuch nur ein einziges Gericht, das nach unserem Gusto in Sachen Intensität – insbesondere was Säure und Frucht angeht – etwas drüber war und sich deshalb zwar sehr spannend, aber nach wenigen Löffeln auch leicht anstrengend präsentierte. Ansonsten waren Schärfe, Säure, Süße und Frucht, die seit jeher die vier Grundpfeiler der Küche darstellen, auf denen fast jede Komposition aufgebaut ist, immer perfekt in der Balance und verliehen den Kompositionen eine gestochene Tiefenschärfe, die sie bei aller Plakativität und Kraft immer auch sehr elegant und feingezeichnet anmuten ließ. Und obwohl wir diesmal erstmals nicht eines der beiden Abendmenüs „Kolibri“ oder „Koi“ geordert, sondern uns der gesamten Palette an Gerichten angenommen haben, die zum Lunch offeriert wurden, hatte unsere achtgängige Speisefolge sogar eine sehr stimmige Dramaturgie.
Zu dieser Dramaturgie gehörte einerseits, dass die vielen synchron aufgetragenen Kleinigkeiten von karamellisierten Cashewkernen und mit Süßkartoffel und Butter geschmeidig und füllig aufmontiertem Krustentiersud über den Szechuan-Schweinebauch bis zur hochinteressanten geräucherten Saiblingsleber mit Saiblingscreme und Basilikumaromen wie gewohnt sehr schlicht und klararomatisch daherkamen. Da spielte aber auch eine Rolle, dass die mit Matcha aromatisierte und mit dem sogenannten Unsterblichkeitskraut Jiaogulan, halbgedörrten Trauben und einem fruchtig-säuerlichen Gel daraus umspielte Gänseleber zwar durchaus spannend und ungewöhnlich, aber für Tim-Raue-Verhältnisse überraschend gezügelt wirkte, also nicht gleich mit Vollgas ums Eck kam.
Danach folgte mit dem Zander, der einen halben Tag lang in Sangohachi (einer Würzpaste aus fermentiertem Reis) mariniert wird und als sehr festfleischige und reintönige Tranche schon als reines Produkt herausragend war, nicht weniger als eines der besten Gerichte, die wir in so vielen Jahren aus der Feder von Tim Raue genießen durften: hochspannend, auf elegante, aber eben nicht plakative Art sehr komplex und auch in seiner handwerklichen Umsetzung perfekt. Der schneeweiße Fisch wurde mitsamt seines Toppings aus Sauerkraut, Ananas und peruanischer Minze direkt am Tisch aus seinem Dampfbad auf den mit leicht angeschärftem Erbsenpüree und einem ebenfalls grünfrischen Thaichili-Öl vorbereiteten Teller gesetzt und final mit Sauerkraut-Beurre-Blanc angegossen. So entstand ein großartiges, markantes Geschmacksbild mit vielen feinen Nuancen und immer wieder neuen Eindrücken, das sich hier durch perfekt miteinander verwobene Süße, Säure, Schärfe und Würze und sich kongenial ergänzende Strukturen entwickeln konnte.
Als im Grunde recht unkompliziertes Soulfood, mit dem sich wahrscheinlich 99 von 100 Gästen abgeholt fühlen, trotzdem aber sehr anspruchsvoll und differenziert, präsentierten sich die mit fermentiertem Kürbis und Kumquat getoppten Enten-Dim-Sum, die auf einem Saucentrio aus kräftiger Entenjus, fruchtig-pikanter Vinaigrette und einem milden, rahmigen Steinpilzschaum platziert waren. Und die trotz ihrer simplen Anmutung – eben gefüllte Pasta mit Sauce – auch wieder so viel am Gaumen passieren ließen, so vielschichtig, dynamisch und tiefgründig schmeckten, dass man hier schon von großer Küche sprechen darf.
Mit mehr angewandter Technik wie den geeisten Stickstoffperlen und insgesamt komplexer und vielteiliger angelegt, wirkte der Zwischengang mit weißem, in Blütenform aus den Kohlstielen ausgestochenem Kimchi, thailändischem Wasserspinat und den floralen und zitrischen Noten von Holunderblüte und Grapefruit deutlich elaborierter – war aber in Sachen Säure und Plakativität dann aber doch ein klein wenig too much. Auch wenn die Tofu-Mousse, die sich hier in Gestalt kleiner Kuppeln im Geschehen tummelte, schon einiges von der Intensität abfedern konnte…
Extrem viel Zug und Säure gab es auch beim Saté-Huhn mit Mango und Erdnuss, hier aber wieder in einem deutlich harmonischeren Kontext. Zum herrlich saftig gegrillten Keulenfleisch, das auf einem dünnen Ast gespießt in einer auf Hühnerfond basierenden Erdnuss-Limetten-Sauce lag und nach unserem Geschmack durchaus sogar noch etwas kräftigere Röstaromen hätte haben dürfen, um einen noch markanteren Eindruck zu hinterlassen, gab es auf einem weiteren Teller Gurke, Mango, Erdnuss, Koriandercreme sowie eingelegte rote Zwiebel und eine sehr säuerliche leicht gelierte Vinaigrette. Im Zusammenspiel einmal mehr ein maximal dynamisches, aufregendes und sehr rundes Gericht, das schon länger nahezu unverändert im Repertoire ist und längst zu den Klassikern gezählt werden darf.
An der geschmorten Wange vom Wagyu-Beef, die mit extra viel schmelzigem und nicht bloß gelatinösem, sondern richtig aromatischem Fett durchzogen war und offenbar vor dem Glasieren mit einer spannungsgeladen säuerlich abgeschmeckten Jus von fermentierten Sojabohnen nochmal kurz und knackig angeröstet wurde, machte genau dieser Kontrast von butterzartem Fleisch und knuspriger Bratfläche den Unterschied. Befeuert wurde dieser Kontrast noch von Reisknusper und aromatisch in Szene gesetzt von roter und grüner Paprika, etwas Süßkartoffel, Zwergorange und Sauerrahm. So entstand auch hier mit viel Frucht und Säure gegenüber viel Umami – aber eben alles in perfekter Balance – ein kontrastreicher Power-Gang der Extraklasse.
Und in dieser Klasse spielt auch die längst zum Signature-Dish avancierte und nur im Detail immer wieder mal etwas veränderte Pekingente, die freilich in ihrer Art der Präsentation und der Zusammenstellung mit einer traditionellen Peking Ente sehr wenig zu tun hat, aber eben auch den typischen Tim-Raue-Swag hat. Auf dem Hauptteller die Entenbrust mit perfekter dünner krosser Haut auf schmelzig zarter Fettschicht und eine Raue-typisch mit sehr viel Wucht und Tiefe, aber eben auch jeder Menge Tiefenschärfe gesegnete Sauce sowie gegrillter Lauch mit Apfel und eine Briochecreme. Auf dem ersten Nebenteller findet man Zupffleisch von der Entenkeule auf einem Leberparfait mit den intensiv verdichteten Aromen von Lauch und Ingwer und Side-Dish Nummer zwei präsentiert einen süßlich-würzigen Umami-Schmeichler, nämlich die kraftvolle Entenbrühe, in der die Innereien wie Entenmägen, -zungen und -herzen sowie etwas Eierstich schwimmen.
Zum Dessert vermählte sich schließlich das solo eigentlich viel zu intensive, saure und sogar recht salzige Limettensorbet mit der Süße von Mango und Milcheis sowie dem Schmelz einer Creme von Sticky Rice zu einer facettenreich spannungsgeladenen, aber unterm Strich eben auch wieder sehr harmonischen Verbindung, an die man sich immer wieder gerne erinnert. Wie diese Küche überhaupt nicht nur einen hohen Wiedererkennungswert hat, sondern sich eben auch mit äußerst einprägsamen, markanten Geschmacksbildern unweigerlich ins kulinarische Langzeitgedächtnis einbrennt.
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