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Auch wenn wir das wohltuend schlicht elegant und zeitlos eingerichtete Restaurant der Schlegels im Erdgeschoss des Leipziger Gewandhauses und die erstaunliche Weiterentwicklung der Küche nun schon seit über zehn Jahren verfolgen und die Auszeichnung von Detlef Schlegel zu unserem Koch des Jahres in der letzten Testsaison natürlich nicht vorschnell getroffen haben, ist der Wiederbesuch eines solchen Preisträgers im Folgejahr irgendwie immer besonders spannend. Können der seinerzeit prominent Hervorgehobene und sein Team die dadurch automatisch geschürte hohe Erwartungshaltung auch diesmal wieder erfüllen, lagen wir mit unserer Entscheidung richtig, oder waren wir am Ende doch nur wegen eines kurzen Zwischenhochs zu euphorisch? Man kehrt jedenfalls automatisch noch etwas kritischer an solch einen Ort zurück – im Falle des Stadtpfeiffers hat aber bei unserem jüngsten Besuch auch das in keiner Weise dazu geführt, dass sich unsere Einschätzung und unsere Begeisterung für die dort gebotene Kulinarik auch nur ansatzweise relativiert hätten.
Im Gegenteil, denn auch diesmal präsentierte sich die zwar konsequent klassische, aber äußerst kreative, originelle und eigenständige Küche von Detlef Schlegel auf einem beeindruckend hohen Niveau, so dass wir sie ohne Zweifel weiterhin zu den besten 25 in Deutschland zählen. Stilistisch lassen sich die beiden Menüs, von denen eines vegetarisch ist (und als solches mittlerweile ebenfalls zu den besten in Deutschland zählt!) schwer einordnen. Kombiniert wird wie gesagt sehr kreativ, ganz ohne Scheuklappen, aber immer überlegt und reflektiert. Die Gerichte schmecken so vielseitig und farbenfroh, wie sie aussehen, sind dabei aber nie beliebig bunt, sondern kompositorisch beeindruckend pointiert und aromatisch präzise scharfgestellt. Die Produkte sind mehrheitlich von internationaler Provenienz, das Team schaut sich aber, gerade was Gemüse, Kräuter, Blüten und so weiter angeht, auch sehr genau in der nahen Umgebung um. So gibt es im Stadtpfeffer nicht selten auch rare saisonale, manchmal sogar lokale Besonderheiten zu schmecken.
Das vegetarische Menü wirkt gegenüber dem omnivoren manchmal vielleicht etwas plakativer und kontrastreicher, ist als solches aber auch sehr fein gezeichnet und gekonnt ausbalanciert. Beide Menüvarianten beeindrucken jedenfalls durch eine enorme Tiefenschärfe und Klarheit. Zuletzt starteten wir mit einem mannigfaltigen herben Wildkräutersalat, der durch etwas Kräutermousse unterfüttert war und von sehr saftigen, zarten Tranchen einer mild im Buchenholzrauch rosa gegarten Wachtelbrust ergänzt wurde. Auf dem Papier nichts Außergewöhnliches – auf dem Porzellan allerdings in seiner Natürlichkeit so aromatisch, ausdrucksstark und facettenreich, dass der Gaumen bereits vom ersten Teller an in Hab-Acht-Stellung verweilt.
Und die gesteigerte Aufmerksamkeit zahlte sich bereits mit der ersten Vorspeise des omnivoren Menüs voll aus, denn hier bekamen wir es nicht bloß mit ganz herausragendem glasig-knackigen Hummer in zwei Varianten zu tun, nämlich als Tatar und gegrilltes Schwanzstück, sondern auch mit einer subtilen, ebenso spannenden wie harmonischen Komposition von Rhabarber und Meerrettichschmand, mit floralen und fruchtigen Aromen sowie einer ätherisch-kräuterigen Kopfnote von Fichtensprossen. Das schmeckte nichts vor, da eckte nichts an, da griff alles wunderbar klar und frisch ineinander und jede Komponente war deutlich zu erkennen.
Die Finessen der Vorspeise des vegetarischen Menüs – einer mit Teriyakisauce lackierten Wassermelone mit Oliveneis, Avocado, Erdnusskaramell und allerhand herben, markanten Kräutern – hätte man wahrscheinlich auch mit etwas weniger Konzentration allesamt voll ergründen können. Was aber nicht heißen soll, dass diese ebenso spannungsreich aufgeladene und harmonisch ausbalancierte Komposition weniger anspruchsvoll gewesen wäre. Nur waren hier eben die Akzente markanter, das Ganze mit etwas dickerem Pinselstrich komponiert. So wie auch der erste Zwischengang des vegetarischen Menüs, bei dem die fein freigestellten Bitteraromen von geschmortem Chicorée und Kumquats durch karamellisierte Pekannuss, Ingwer und Orangentagetes von raffinierten Zwischentönen ergänzt wurden. Auch das wieder eher zupackend und ausdrucksstark, aber mit einer guten Balance
Szenenwechsel ins „normale“ Menü, in dem wir mit dem ersten Löffel der Sauce, die hier zur Kalbszunge mit Rübchen, Rettichgewächsen und Hopfenspargel angegossen war, umgehend schockverliebt waren: die schmeckte nämlich wie ein langer Grillabend irgendwo am Mittelmeer. Was für eine Kraft, was für eine Tiefe, was für eine angenehme Rauchigkeit und Fleischigkeit, aber auch Eleganz, Spannung, Säure, Rotweinfrucht – alles da, alles in wunderbarem Einklang! In Kombination mit den butterzarten, ebenfalls beherzt angegrillten Zungenstreifen und der subtilen Ätherik, Herbe und Knackigkeit der Gemüse, war das ein Gerichts fürs kulinarische Langzeitgedächtnis, das viele Emotionen weckt. Und das im Weinglas kurioserweise von einem stark mineralischen Riesling, nämlich dem 2019er „Jesuitengarten“ von Familie Allendorf aus dem Rheingau, kongenial begleitet wurde.
Nach Urlaub, Sonne, Meer schmeckte einerseits auch der folgende Gang mit Oktopus und Jakobsmuschel, beides geröstet, beides aber auch wunderbar klar, rein und jodig, was durch Austernblatt und Fenchel noch unterstrichen wurde – allerdings kamen hier mit Zuckerschote, heimischen Blütenknospen, vor allem aber einem relativ intensiven Gel von Sanddorn, auch noch eher „nordische“ Aromen hinzu und das Ganze verharrte tatsächlich etwas unentschieden zwischen den unterschiedlichen Aromenwelten. Im Grunde war es aber das doch recht vorlaute Sanddornaroma, das hier nach unserem Gusto fast etwas störend, zumindest aber nicht ganz schlüssig wirkte. Da hätten wir uns beispielsweise – konzeptionell ähnlich, thematisch jedoch ganz anders – ein Gel von Salzzitrone viel stimmiger vorstellen können. Aber das ist wohl eher Geschmackssache.
Zwei weitere Knaller folgten im vegetarischen Menü: zum einen mit gegrilltem, geräuchertem sowie karamellisiertem weißem und grünem Spargel, die sich – nicht nur von einem gebackenen flüssigen Eigelb, sondern auch wieder allerhand Kräuterwürze eskortiert – enorm ausdrucksstark und facettenreich präsentierten. Und genauso mannigfaltig war anschließend auch der Hauptgang, bei dem verschiedene teils rare Baumpilze wie Ochsenzunge, aber auch Kräuterseitling und der als Böhmische Trüffel bekannte Erbsenstreuling, akkurat gegrillt neben kräutergefüllten und teils raffiniert käseüberkrusteten Ravioli, Bärlauchknospen und Schnittlauchblüten in einer schaumig-eleganten Morchelrahmsauce badeten. Einerseits vielseitig und ausladend, andererseits aufgeräumt und pointiert.
Den einzigen echten Wackler leistete sich die Küche bei der Sauce zum Hauptgang, in dessen Mittelpunkt ein sagenhaft gutes, matt glasiertes Stück vom Maibock in absoluter Referenzqualität auf Ragout von der Schulter desselben Tieres thronte und von einem spannenden Arrangement aus Senfkohl, Senfsaat und verschiedenen Trauben-Komponenten begleitet wurde. Die war zwar in ihrer Beschaffenheit angenehm transparent und nicht zu konzentriert, allerdings schlicht zu salzig abgeschmeckt, sodass wir sie zugunsten der ganz hervorragenden Mehrheit auf dem Teller und der ebenfalls begeisternden Cuvée aus Spätburgunder und Portugieser von Winzer Martin Schwarz von der sächsischen Weinstraße im Glas, einfach links liegen lassen mussten. Schade, aber kein Beinbruch. Denn je besser das Fleisch, desto unwichtiger die Sauce. Den hervorragenden Gesamteindruck konnte das jedenfalls nicht trüben.
Zumal danach mit Roquefort auf Quitte mit wohldosierter Wacholderwürze und Chilischärfe ein grandios komponierter Käsegang folgte, mit dem der Küche das Kunststück gelungen ist, den Blauschimmelkäse nicht nur perfekt in den Mittelpunkt zu stellen, sondern sein Aroma durch die Würze, die Schärfe und die dezente säuerliche Fruchtigkeit der Quitte noch zu pushen. Und das nahezu ohne Süße! Aber auch die Desserts kamen mit wohltuend wenig Zucker aus und boten zum Schluss nochmal richtig viel Originalität. Zum einen mit einer beeindruckend eleganten und hellaromatischen Komposition von Schokolade, Kaffee und Passionsfrucht, zum anderen mit dem Nachtisch um Blutorange, Pistazie und Baiser bei dem die Aromen ebenso druckvoll und intensiv wie leicht und schwebend den Teller auskleideten. Und so wundern wir uns auch in diesem Jahr einfach weiter, wie vergleichsweise unterbewertet die geniale Küche des Stadtpfeiffers in nahezu allen anderen Guides und Publikationen doch ist – was aber sicher auch damit zu tun hat, dass sich die Schlegels eigentlich ganz gern unterm Radar bewegen… Umso sympathischer!
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