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Fotos: Rutz Restaurant

Rutz Restaurant

Chausseestr. 8
10115 Berlin (Mitte)
030-24628760

aktualisiert: 07 / 2022
Mo Di Mi Do Fr Sa So
Mittags
Abends
Di-Sa ab 18.00 Uhr, So u. Mo Ruhetag
Menüs: 265-285 €

Kaum ein anderes Restaurant in Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren so eine rasante und quantensprunghafte Entwicklung genommen wie die ehemalige Weinbar Rutz in der Chausseestraße, die längst nur noch Rutz heißt und zu einer der besten Genussadressen in Deutschland avanciert ist. Nachdem das Interieur im doppelstöckigen Lokal irgendwann nicht mehr so ganz mit der herausragenden Kochkunst von Marco Müller mithalten konnte und mittlerweile auch klar war, dass das zunächst wegen der Corona-Auflagen nur vorübergehend in den Ableger Rutz Zollhaus nach Kreuzberg outgesourcte Weinbar-Konzept aus dem Erdgeschoss nicht mehr an seinen angestammten Platz zurückkehren wird, hat man sich dazu entschlossen, im Frühjahr 2022 umfassend zu renovieren und umzugestalten.

So präsentiert sich das Rutz nun mittlerweile mit seinem neuen, sehr coolen, dunkel-urbanen Outfit nicht nur deutlich moderner und mit hochwertigen Materialien ausgestattet um einiges exklusiver, sondern auch von unten bis oben wie aus einem Guss. Eyecatcher ist die über beide Stockwerke reichende gläserne klimatisierte Vitrine, in der auf der gesamten Wandfläche über mehrere Meter eine Vielzahl effektvoll illuminierter Einmachgläser sowie bis zum perfekten Reifegrad abhängende Tiere präsentiert werden. Da wird also maximal dekorativ die Essenz dieser Küche zur Schau gestellt, denn ein ganz wesentlicher Faktor in Marco Müllers Kulinarium ist nun mal das Einkochen, Einlegen, Einmachen, Fermentieren, Reifen lassen…

Ein weiterer ist die dauernde Fahndung nach den besten und interessantesten Produkten aus Berlin und dem Umland. Und dafür hat der Chef mittlerweile ein großes Netzwerk gesponnen, gemeinsam mit den Landwirten eigene Bepflanzungspläne entwickelt, und auch sonst arbeitet er seit jeher sehr eng mit Bauern, Erzeugern und Viehzüchtern zusammen, die ihn mit ihren außergewöhnlichen Viktualien versorgen. Doch auch wenn Marco Müller das in den letzten Jahren immer weiter intensiviert hat und tatsächlich ein ganz überwiegender Teil seiner Viktualien „von hier“ stammt, ist er kein Regionaldogmatiker und schließt deshalb Dinge, die es nicht in der näheren oder weiteren Umgebung gibt, nicht automatisch für seine Küche aus.

Mit sehr viel Experimentierfreude, einem hohen Grad an Kreativität und einem untrüglichen Gespür für spannend unkonventionelle, aber in der geschmacklichen Gesamtwirkung gar nicht unbedingt besonders avantgardistische Aromenbilder, kreiert Marco Müller aus all diesen Dingen im Rahmen seines bis zu achtgängigen „Innovationsmenüs“ hochfeine Gerichte voller oft hintergründiger Finessen, die deutschlandweit zu den besten und außergewöhnlichsten gehören. Sie sind allesamt ausgesprochen elaboriert und ausgetüftelt, wirken aber oft auf den ersten Blick gar nicht mal so. Man findet unkompliziert Zugang, alles erschließt sich am Gaumen auf wundersame Weise ganz von selbst und es entsteht immer ein gewisser Wow-Effekt, so dass auch weniger geübte Esser großen Gefallen daran finden dürften.

Dabei sind die Kreationen noch nicht mal plakativ und reißerisch, sondern oft sogar sehr subtil und elegant – kommen aber immer ohne Umschweife klar und deutlich auf den Punkt und lassen originelle, völlig unkonventionelle Geschmäcker entstehen, die immer auf Harmonie ausgelegt sind. Erfahrene Gourmets wiederum werden ihren Spaß daran haben, vielen ungewöhnlichen Einzelkomponenten nachzuschmecken, die dann in der Gesamtwirkung zu einem überraschend vollmundigen und runden Ergebnis führen. Keine verkopfte Experimentalküche also, sondern geniale, weil hochintelligente Avantgardeküche mit einem ganz besonders engen Bezug zur Natur.

All das verkörperte auch bei unserem jüngsten Besuch schon ein intensiver, durch Kiefernsprossenöl geschmeidig gehaltener Gurkensud mit getrockneten Basilikumblüten als erster Refresher. Ebenfalls leicht und frisch, aber deutlich komplexer, präsentierte sich danach das Amuse mit nach Hausfrauenart, also mit Äpfeln und Zwiebeln, sowie als eher puristisch und klar schmeckendes Sashimi zubereitetem Hering, die sich beide unter einer Haube von Sauerrahmschaum versteckten, welche mit Apfel-/Dill-Granité akzentuiert war. Nicht spielentscheidend, aber ein subtiler Kick obenauf: getrocknete Essiggurke, am Tisch mit der Microplane darüber gehobelt. Als dritte Einstimmung im Vorprogramm erzeugten das weiche „Mark“ eines verbrannten Lauchinneren und ein Pulver aus der Aschehülle, eine aus Blaubeeren hergestellte Barbecuesauce, etwas Ziegenfrischkäsecreme und feingehobelter gereifter Ziegenkäse als Füllung eines hauchdünnen Knusperschälchens aus Weizenteig einen sehr komplexen, rauchig-süßlichen Gaumenkitzel. Viel Raffinement auf wenig Raum – ein Mund voller ausgewogener Dynamik und Spannung.

Jede Menge Originalität bringt im Rutz übrigens auch die alkoholfreie Getränkebegleitung an den Tisch respektive ins Glas. Und gehört damit zum Besten, was diesbezüglich hierzulande als nullprozentige Alternative zur Weinbegleitung ausgeschenkt wird. Immer sehr leicht, immer außergewöhnlich und immer perfekt auf die zu begleitenden Gerichte abgestimmt. So wie das für die erste Vorspeise erdachte Getränk aus klarem Tomatensaft, Oolong-Tee und Holunderblattöl mit verwegener Würze, herben Schwarzteearomen und viel Umami. Die Kreation aus der Küche, die es damit zu begleiten galt, drehte sich um den in Gourmetgefilden eigentlich so gut wie nie anzutreffenden Karpfen. Hier natürlich nicht irgendein moosiger Geselle aus einem stillen Tümpel, sondern das trockengereifte Fleisch eines High-End-Exemplars, das einmal als Tatar auf dem Hauptteller und in Gestalt eines an der Gräte gegarten Stielkoteletts à part als Fingerfood zum Besten gegeben wurde. Das fleischig-milde Tatar im Zusammenspiel mit Crunch aus der Fischhaut und den Schuppen, knackigem eingelegtem Rettich und geeisten Holunderblattperlen auf einem Sud von Holunderblatt und Tomate – das Kotelett zum Knabbern als mit Garum lackierter und glasierter würzig-süßlicher Umami-Spaß.

Apropos Spaß: den macht natürlich in besonderer Weise auch die Weinbegleitung, denn Sommelière Nancy Großmann ist, was ihre Pairings angeht, ebenso inspiriert und geschmackssicher wie die Küche. Und sie ist auch immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Dingen, so wie beispielsweise das für einen Grauburgunder völlig untypische Große Gewächs „Eichberg“ aus 2018 vom badischen Weingut Salwey, das kurioserweise als Grauburgunder den folgenden Gang mit Frische und Säure nach vorn brachte. Namentlich die roh marinierte Forelle von den eigenen zwei Teichen, die als klararomatische festfleischige Würfel, Forellencreme, Kaviar und Fischhautknusper zusammen mit der Süße von zweierlei Sorten in Salzteig gegarter und roher Karotte sowie der Ätherik von rahmiger Tagetes-Sauce ein sehr ausgewogenes Zwischengericht auf den Teller brachte, dem der Wein kongenial zuspielte.

Der Hauptdarsteller des nächsten Akts kam aus Dänemark, war ein Kaisergranat, und wurde zuvor mit der Koji-Schimmelpilzkultur gebeizt, was ihm seine grundeigene Süße und Mineralität maximal hervorkitzelte. Gebettet auf einer Creme von Tofu und Kalbshirn (sic!) sowie grob zerstoßenen Haselnusskernen und getoppt mit Sauerampfer und verschiedenen Spielarten der Gelben Bete – aus der war auch der Schaum gemacht, der das Ganze umgab. Ein von feiner Süße und fruchtiger Erdigkeit gekennzeichnetes Gericht, wieder mit einer beeindruckenden Komplexität, Balance und Harmonie.

Überhaupt fällt sehr positiv auf, wie geschmeidig vollmundig und wenig borstig die Kreationen trotz viel angewandter Fermentation sind. So auch der milchsäurefermentierte und kurz angegrillte weiße Spargel, der nebst straffer Estragoncreme und erfrischender Sauce im Zusammenspiel mit Fett- und Röstaromen von Hühnerhaut (Chips und Crumbles), einer Mayonnaise aus dem Hühnerfett und à part dazu servierter Hühnerbouillon wieder ein gänzlich rundes, harmonisches, aber eben maximal dynamisches Aromenbild entstehen ließ.

Mut zu pointierten Kompositionen jenseits der klassisch französischen Aromenlehre zeigten Marco Müller und sein Team auch beim sensationellen, mit Muschelaromen und Dünenkräutern bespielten Dorsch. Den Fisch lässt man, nur in ein Nori-Algenblatt gewickelt, unter der Wärmelampe ziehen, so dass er klar und frisch seine ganzen Vorzüge voll ausspielen kann. Die Muschelaromen kommen als kraftvoller Muschelsud mit einer Einlage aus Stabmuscheln und Saiblingskaviar ins Spiel und das unter „Dünenkräuter“ zusammengefasste Sammelsurium aus Duse-Algen, Quellern sowie Seegras wie Meerfenchel, spielten kongenial ihre (teils durch Angrillen forcierten) fordernden Bitteraromen und Jodigkeit hinzu. Kein Wunder also, dass sich bei so viel maritimer Mineralität der von Nancy Großmann dazu ausgesuchte 2008er Blanc de Blancs Grande Reserve vom Sektur Raumland als absoluter Traumpartner erwies.

Aber auch auf der alkoholfreien Seite gab’s an diesem Abend noch einen Volltreffer: Entsafter Salat und Rapsöl sowie ein Sprüher aus der Botanical-Flasche mischten zum Husumer Salzwiesenlamm vom renommierten Züchter Klaus Schwagrzinna ganz groß mit. Hier kam der trockengereifte Rücken, der von zu knusprigen Crumbles geröstetem Lammbauch und etwas Lammfett aromatisch noch nach vorn gepusht wurde, ausgesprochen puristisch nur in Begleitung eines mit in Koji eingelegten Romanasalatherzes daher, welches mit einer mildwürzigen weißen Creme und verschiedenen Knospen und Blüten appliziert war. Als Sauce ein zwar druckvoller, aber sehr schön transparenter Mix aus Lammjus und Dashibrühe – und mehr brauchte es hier auch gar nicht, um voll zu begeistern.

Ähnlich puristisch und pointiert auf Fleisch und Salat reduziert, im Detail aber noch komplexer, machten anschließend noch vermutlich auf Binchotan gegrillter Rücken und Mark vom deutschen Wagyu in außerordentlicher Qualität Furore. Das ebenfalls nach japanischer Art in kleine Tranchen aufgeschnittene Fleisch lag versteckt unter einem mannigfachen grünfrischen Bett aus Salat, Blüten, Kräutern und Knospen und wurde als Sauce von einem faszinierend intensiven, säurefrischen Tomatensud mit würzigem Öl von Zwiebelgewächsen eskortiert. Genial schlicht und leicht, aber so voller Facetten, spannender Aromen und reizvoller Texturen – ein Spektrum, das à part auch noch von einem kleinen, mit Ragout von Zunge und Herz des Wagyus sowie etwas Creme von fermentiertem Knoblauch gefüllten Algen-Tartelette spannend erweitert wurde. Und im Weinglas kongenial begleitet von einem gefällig über zehn Jahre gereiften Syrah des burgenländischen Winzers Ernst Triebaumer, dem 2011er Hammelberg nämlich, der ebenso genial wie das Gericht Kraft und Eleganz in sich vereinte.

Nach einer Einstimmung aus säuerlichem Grünem Apfel, dem feinwürzigen Saft des Lärchenbaumes und Wasserkefir wurde beim Hauptdessert um Rhabarber, Roggen und einer Extraportion Oxalsäure, (zum Beispiel von einem Eis von Rotem Oxalis), ebenfalls sehr gekonnt die Kunst des Säurebändigens gepflegt. So präsent wie nötig, aber auch so zurückhaltend wie möglich waren hier Schmelz und karamellige sowie schokoladige Süße im Einsatz, so dass den Hauptdarstellern das Feld überlassen, aber im Hintergrund für eine harmonische Grundstimmung gesorgt wurde. So lässt sich abschließend ganz ohne Übertreibung resümieren, dass man im Rutz derzeit eine der kreativsten, spannendsten und unkonventionellsten Küchen in Deutschland bekommt, für die man aber noch nicht mal sonderlich experimentierfreudig sein muss. Marco Müller und seinem Team gelingt hier also fast so etwas wie Quadratur des Kreises.

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