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Fotos: Rutz Restaurant

Rutz Restaurant

Chausseestr. 8
10115 Berlin (Mitte)
030-24628760

aktualisiert: 07 / 2023
Mo Di Mi Do Fr Sa So
Mittags
Abends
Mo-Fr ab 18.00 Uhr, Sa u. So Ruhetag
Menüs: 300-320 €

Könnte man in der Zeit zurückreisen, man würde das Rutz nicht wiedererkennen. Kaum ein anderes deutsches Restaurant hat sich in den vergangenen zehn Jahren so beeindruckend weiterentwickelt wie die ehemalige Rutz Weinbar in der Chausseestraße in Berlin Mitte. Mittlerweile ist aus der Weinbar ein mehr als stattliches Restaurant geworden, das sich als eine der kulinarischen Top-Adressen in Deutschland etabliert hat. Ein Baustein des Erfolgs ist, dass Küchenchef Marco Müller Stück für Stück immer weiter an den Ursprung seiner Produkte vorgedrungen ist. In der Regel arbeitet er direkt mit den Produzenten ohne Zwischenhändler zusammen. Oder wird mit seinem Team gleich selbst zum Produzenten, wenn er einen ganzen Teich beim Brandenburger Fischfarmer 25 Teiche pachtet und selbst über Aufzucht, Ernährung und Schlachtung entscheidet.

Ein weiteres tragendes Element ist das Fermentieren, Einlegen, Reifen und Konservieren. Müller und sein zweiter Küchenchef Dennis Quetsch arbeiten mit Lactofermenten, eigenen Ölen, hausgemachten Essigen oder Garum, einer Saucentechnik römischen Ursprungs, für die Fisch- oder Fleischabschnitte bei hohen Temperaturen mit Salz fermentiert werden. Nahezu jeder Gang enthält irgendetwas Konserviertes – und oft auch Unbekanntes, was die Gerichte auf eine magische Art rätselhaft wirken lässt. An mehreren Stellen fragen wir uns, was genau, da gerade so gut schmeckt. Ist es das Öl vom Rhabarberstrunk oder doch der lactofermentierte Saft? Meist hat man als Esser keine Möglichkeit, das herauszufinden, und muss sich damit begnügen, dass es im Ensemble einfach schmeckt. Und genau das ist stets der Fall, denn obwohl man das Menü um Rutz auch ausführlich zerdenken kann, lässt es sich auch einfach vernaschen. Kopf an, oder Kopf aus? Diese Frage darf hier jeder für sich selbst entscheiden.

Gleich zu Beginn lässt das Rutz keine Zeit verstreichen, um zu zeigen, welch hohen Stellenwert die Menüdramaturgie einnimmt. Statt einer üppigen Auswahl luxuriöser Speisen gelangte zum Auftakt einen kleines Schälchen Blüten (unter anderem Rosen und Rubinen aus Berlin) auf den Tisch, dass à la Minute mit einem Sud aus milchsauer fermentierten Quitten und milchsauer fermentiertem Honig aufgegossen wird. „Um den Zucker herauszuziehen, aber das Aroma zu behalten“, wie der charmante und eloquente Restaurantleiter Falco Mühlichen erläutert. Auch wenn Marco Müller vorwiegend (aber nicht kategorisch) mit regionalen Zutaten operiert, mutete dieser Gang in seiner Einfachheit japanisch an und erinnert an den magischen Hauch von Nichts, der auch die Kaiseki-Küche Japans prägt. Ein fulminant unfulminanter Start!

Die folgenden Speisen traten zwar allesamt intensiver, dichter, und gehaltvoller auf, was aber bleibt ist der punktgenaue Einsatz feiner Aromen, die sich nur andeuten müssen, um ein hochkomplexes Geschmacksbild in uns hervorzurufen. Das macht die Rutz-Küche auf magische Art einerseits sehr ausgefeilt und denkintensiv, lässt sie aber eben auch unverschämt lecker auftreten. Ganz in diesem Sinn präsentierte sich ein kleiner mit Koji verfeinerter und mit Barsch-Tatar belegter Berliner. Nicht unterschätzen darf man hier den Berliner selbst, der weit mehr war als nur ein Träger für Hochwertigeres. Viel eher stand das perfekte Frittierhandwerk im Mittelpunkt: fettig, aber nicht tranig, üppig, aber fragil, mundfüllend, aber nicht pappig. Kleine Sauerkleeblätter und eine feine Rauchnote sorgten zudem auf aromatischer Ebene für Komplexität.

Noch besser gefiel uns der dritte Fingerfood-Gang aus einer hauchdünnen Tartelette mit schaumiger Zwiebel-Wacholder-Füllung und Wunderlauch, ein etwas weniger scharfer Bärlauch-Verwandter. Begeistert waren wir hier neben dem Aroma auch vom Mundgefühl, denn der luftige, fast schwerelose Schaum verkam hier nicht zum Selbstzweck, sondern schaffte es, den gesamten Gaumen würzig-süßlich zu benebeln, ohne ein Völlegefühl im Mund zu verursachen. Eine Demonstration von fortschrittlichem Handwerk und ein Gang, der verdeutlicht, wie präzise Müller und sein Team arbeiten, um einfache und eben nicht verkopfte Gerichte zu kreieren.

Mit dem ersten Tellergericht aus roher Forelle, Rhabarber und Garum zog die Küche das Komplexitätsniveau dann deutlich an. Typisch für das Rutz ist, dass Komponenten mehrfach auf dem Teller zu finden sind, meist in Form verschiedener Teilstücke oder Zubereitungsarten. Die Forelle findet sich hier in gleich dreifacher Ausführung auf dem wieder: einmal das rohe Filet, einmal die kross frittierte Haut, einmal als Garum. Ausschlaggebend war außerdem ein hauchzarter Sud aus Rhabarber und Öl aus dem Rhabarberstrunk; Spannung gewann der Gang dank einer Garum-Rauchöl-Emulsion, die einen perfekten Gegenpol zum zarten Rhabarber darstellte.

Auch beim nächsten Gang ging es um rohen Fisch und Rauch. Im Zentrum stand dabei ein Tatar vom trockengereiften Karpfen mit Buttermilch-Vinaigrette, sowie gefrorene Perlen auf Basis von eigenem Holunderblütenessig. Eine Lanze brechen wollen wir hier für den Karpfen, der kein bisschen dieser für ihn sonst typischen schlammigen Noten aufwies. Ein ohnehin schon kritisches Produkt gereift roh zu servieren: Dieser Mut ist es, der das Rutz zu einem der besten Restaurants des Landes macht. Spannend ist auch, dass sich die Rauchnote hier ganz anders präsentiert als im vorigen Gang. Denn die Forelle erinnerte an gerösteten grünen Tee oder Sesam, der Karpfen wirkt dagegen deutlich speckiger. Die Unterscheidung in kalten Rauch und warmen Rauch ergibt hier in unseren Augen Sinn.

Noch besser wurde es mit der kurz nach dem Hauptteller servierten gegrillten Sparerib vom Karpfen, die wir, mit einer süßlich-würzigen barbecueartigen Sauce sowie gelber Tomatencreme glasiert, vom Kochen knabbern durften. Textur und Aroma erinnerten hier an durchwachsenen Thunfischbauch: fett, üppig, nussig und wunderbar reintönig. Man wird es nicht leicht haben, in diesem Universum hochwertigeren Süßwasserfisch ausfindig zu machen.

Kalmar aus der Nordsee stand im Mittelpunkt des nächsten Gangs und war gleich zweimal auf dem Teller vertreten, einmal in Form leicht gegarter Tranchen in eigener Tinte, einmal als Tatar. Subnoten steuerten Muscheln und Senfgurke bei; ersterer in Form eines kühlen Muschelsuds, letztere durch einen Gurkensud, frische Gurkenstücke und Eisperlen aus Senfgurken. Beeindruckend war hier – anders als zuvor beim Karpfen – weniger das Produkt selbst als vielmehr das Finetuning. Mit rohem, adstringierendem Tatar, Kalmar-Tinte und kaltem Muschelfond fanden sich extreme Zutaten auf dem Teller wieder und trotzdem wirkte das Gericht wunderbar zart und transparent, kam ohne viel Würze, viel Salz oder viel Säure aus. Sogar der Senf entfaltete seine ätherische Wirkung und stieg subtil in die Nase, ohne sich aber dort festzusetzen. Irritiert waren wir nur von den Senfgurkenperlen aus dem Stickstoffbad, die zwar aromatisch viel beisteuern konnten, aber deutlich zu kalt wirkten. Grundsätzlich lässt sich mit Temperaturkontrasten natürlich spielen, unvorteilhaft erwies er sich hier aber, da die eisigen Perlen beim Kauen der recht großen Kalmar-Stücke fast schon an den Zähnen schmerzen.

Das Wollschwein mit Kohl und gelben Tomaten leitete die warmen Zwischengänge ein. Im Mittelpunkt stand dabei eine confierte, gepresste und dann gebratene Kinntranche. Umspielt wurde das Fleisch von einer sehr lockeren Brokkoli-Sorte mit großen losen Blüten und einer Creme aus im Ofen verbranntem Spitzkohl. Als verbindendes Glied zwischen dem deftig-aromatischen Schwein und dem herben Kohl diente eine wunderbar tiefe Sauce aus konservierten gelben Tomaten aus dem vergangenen Jahr. Dass Müller und sein Team hier dem Kohl mit viel direkter Hitze begegnen, könnte die Gemüter spalten: einerseits gibt es dem Gericht eine herrliche Lagerfeuerromantik, macht es betörend wohlschmeckend. Anderseits ist das nun schon der vierte Rauchton im siebten Gericht. Auch die oben angesprochene Unterscheidung verschiedener Rauchtöne erschöpft sich einmal, so dass der Rauch bei diesem Gang anfängt, redundant zu wirken.

Der folgende Gang steht als Wagyu-Rind, Garum und Kohlrabi auf der Karte und liest sich wie ein Hauptgang, auch wenn man sich von solchen Kategorien im Rutz verabschiedet hat. Das Rind stammt aus Norddeutschland und weist wie fast alle nicht-japanischen Rinder eine vergleichsweise niedrigere Fettmarmorierung auf. Das erscheint uns in diesem Fall aber nicht als Nachteil, da das Fleisch eine deutliche Heu- und weiße Champignonnote mitbringt, die sich perfekt ins Arrangement eingliedert. Für Säure sorgt ein Kohlrabisauerkraut sowie eine leichte Vinaigrette aus Kohlrabiblatt und Molke. Tragend für das Gericht ist eine sehr schaumige Emulsion aus Garum und Knochenmark, deren fermentierte Tiefe aus dem Gericht einen typischen Rutz-Teller machte, die nicht selten auf verblüffende Weise nach Dingen schmecken, die gar nicht da sind. Fast wie ein guter Wein, der viele seiner Aromen ja auch erst aus der Gärung bezieht. In diesem Fall schmeckten wir Zimt, Zedernholz, Kakao, Malz, Ovomaltine, Brotkruste und frischen Speck. Großes Kopfkino!

Ein ähnlicher Phantomgeschmack – diesmal Schawarma, Sesam, Karamell und Tempeh – schwebt über dem folgenden Gang aus Laubporling, Topinambur, Salatspargel, Erbsen und weißen Johannisbeeren. Der im Berliner Umland gezüchtete und in japanischen Küchen als Maitake bekannte Pilz bestach durch eine wunderbar fleischige Note, die durch die nussige Topinamburcreme noch verstärkt wurde. Frische steuerten dezente Kleckse weißer Johannisbeercreme, gepulte Erbsen und Salatspargel (ein dickblättriger, wulstiger Kopfsalat-Verwandter) bei. Wieder einmal ist die Sauce die Seele des Tellers, die in diesem Fall im Wesentlichen aus gebräunter Heumilchbutter besteht.

An dieser Stelle muss auch unbedingt die alkoholfreie Getränkebegleitung erwähnt werden, die im Rutz eher als eine Art flüssiges á Part auftritt. Den zum Laubporling gereichten heißen Cappuccino aus fermentierten und frischen Pilzen mit Rohmilchbutter hätten wir uns auch glatt als Teil des Gerichts vorstellen können. Eines muss man dabei wissen: Die alkoholfreie Getränkebegleitung ersetzt die Weinbegleitung nicht wirklich. Mehrmals wirkten die Getränke vor und nach den Gängen sehr extrem, wie etwa eine Gersten-Amazake mit Kohlrabiblattöl zum Wagyu. Wer alle Register ziehen will, dürfte vermutlich an der alkoholfreien Begleitung zusätzlich zum Wein die meiste Freude haben.

Die Weinkarte im Rutz setzt primär auf große Namen neuen Typs. Teure Burgunder im Kleinwagenformat findet man nicht auf der Karte, dafür eine breite Auswahl der besten deutschen Winzer, viele in beachtlicher Jahrgangstiefe, wie etwa das Weingut Aldinger. Dessen Chardonnay, der auch Teil der Weinbegleitung ist, gehört derzeit zu den schärfsten Burgund-Konkurrenten.

Der letzte salzige Gang beinhaltet französische Taube – eine der wenigen Ausnahmen von der Regionalität, auf die sich Marco Müller immer dann einlässt, wenn Spitzenqualität in der Umgebung nicht zu finden ist. Spannenderweise ist ausgerechnet das der Gang mit den wenigsten Röstaromen, was die leicht lebrige Eigenaromatik der Taube optimal zum Vorschein brachte und deren herausragende Qualität unterstrich. Dennoch haben wir gleich zwei kleinere Probleme mit diesem Gang, denn erstens waren die Chips aus Geflügelhaut sowie einer Kohlmasse zu scharfkantig und piksten im Mund, so dass wir uns uns an die Stickstoffperlen zum Kalmar erinnert fühlten, die ebenfalls wie ein Fremdkörper wirkten. Zweitens erinnert uns der Phantomgeschmack von Kakao und Malz an den Wagyu-Gang. Diskutieren kann man natürlich, ob das Handschrift oder Redundanz ist. Schließlich schmeckt in der klassisch französischen Haute-Cuisine auch fast jeder Gang nach Butter und die größten Sushi-Meister servieren jahrzehntelang denselben Essig in jedem ihrer Gerichte. Wir optieren hier für Redundanz, da die Küche des Rutz ihren Reiz – anders als die Werke des Sushi-Meisters – gerade aus diesen Überraschungsmomenten zieht. Überrascht waren wir als Esser jedenfalls beim zweiten Mal weniger als beim ersten Mal.

Die Nachspeisen begannen wie die Vorspeisen mit einem sehr konzeptuellen Gang aus Waldmeistergranité, Joghurtsorbet, Eisenkraut, verbrannter weißer Schokolade und Salatstrunk. Wir fassen diese kleine Speise als Reinigungstuch für den Gaumen auf und fühlen uns danach tatsächlich wie kurz frischgemacht. Denn danach wurde es spürbar komplexer, mit einem Waldboden aus Fichtensprossen, winzigen herb-süßen Wildquitten, Buttermilcheis und allerhand Kräutern und Aromen, die wir kaum alle herausschmeckten, die dadurch aber eine herrlich komplexe dunkelgrüne Basslinie unter das Gericht legten. Jedoch tritt auch hier wieder ein „Chips-Problem“ auf, diesmal noch gravierender als bei der Taube. Problematisch wird das, da man beim Eis nicht um das Lutschen und Zerdrücken mit der Zunge herumkommt. Da wir den Chip zuvor zerschlagen mussten, um an das darunterliegende Eis zu kommen, haben wir nun auch nicht mehr die Möglichkeit, um die unzähligen Splitter auf dem Teller herumzulöffeln, was das Essvergnügen dann doch ein wenig trübt.

Man kann uns solche Kritikpunkte als Ebsenzählerei ankreiden, aber es sind eben jene winzigen Unstimmigkeiten, die für uns derzeit noch den Ausschlag geben, hier bei glatten 10 Pfannen zu bleiben, obwohl die Küche schon allein aus Originalitätsgründen auch den Bonuspfeil dazuverdient hätte. Was uns von der Vergabe der Maximalbewertung aktuell noch abhält, sind tatsächlich nur die angesprochen Textur- und Redundanz-Probleme. Gleichwohl ändert das nichts an der Tatsache, dass das Rutz für uns schon jetzt eines der eigenständigsten, kompromisslosesten, versiertesten und schlicht besten Restaurants des Landes ist.

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