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Andreas Sauls Bandol sur mer auf der belebten Torstraße in Mitte dürfte vermutlich das kleinste Spitzenrestaurant in der Hauptstadt sein, denn an den sechs relativ eng gestellten blanken Tischen, die sich den Raum mit einer Theke und der offenen Küche teilen, werden auch bei optimaler Besetzung sicher nicht mehr als 16 Gäste Platz finden. Doch genau das macht auch den Charme dieser maximal unscheinbaren Adresse aus, die weder dem klassischen Bild einer konventionellen Gourmetadresse entspricht noch wie eines der typischen „Casual Dining“-Lokale wirkt, sondern auf den ersten Blick tatsächlich eher wie eine alternative Szenekneipe. Doch davon sollte man sich ebenso wenig blenden lassen wie von der ganzen lockeren Gangart, denn hier wird eine äußerst durchdachte und präzise gefertigte Küche geboten, die für uns auch in diesem Jahr wieder zu den Top 20 der mittlerweile an anspruchsvollen und spannenden Restaurants gar nicht mehr armen Hauptstadt zählt.
Stilistisch bewegt sich der Chef in keinem bestimmten Fahrwasser, doch seine Küche ist in jedem Fall stark gemüselastig und generell eher an guten regionalen Viktualien orientiert als an den einschlägigen Edelprodukten. Er kocht tendenziell modern und schlank, seine Kreationen haben aber mitunter auch eine traditionelle klassische Basis, besitzen Substanz und Tiefe, wirken nie spröde oder naturbelassen, wie es beispielsweise die neue nordische Küche ja durchaus sein kann. Vielmehr beeindruckte uns auch dieses Mal wieder die enorme Ausgewogenheit und Spannweite der Gerichte – auch wenn sie mal nur aus sehr wenigen Komponenten bestehen.
Als ersten Happen aus der Küche gab es zum Beispiel gleich mal so einen beeindruckenden Wachrüttler im Mini-Format, denn die Kombination aus aromatischem Steinpilzchip mit Eigelb und Seegras war ein ausdrucksstarkes und perfekt ausbalanciertes Vergnügen. Während die mit Kohlrabi, schwarzer Johannisbeere und Mayo vom Johannisbeergehölz beladene knusprige Tartelette und der mit fleischigem Kräuterseitling gefüllte Pumpernickel-Macaron zwar durchaus kurzweilig und schmackhaft, aber nicht so ausgefuchst wie ihr Vorgänger waren. Das Sauerteigbrot „Larry“ zeugte dann von ehrbarem Handwerk und die mitgelieferten Steckrübenscheiben sowie der Rhabarber davon, dass auch hier auf Teufel komm raus fermentiert wird.
Eine Fortsetzung des eingangs bereits angedeuteten Niveaus wurde bereits mit der ersten regulären Vorspeise des Menüs aufgenommen, das als rein vegetarische Basisversion in fünf Gängen angeboten wird und via Upgrade um zwei weitere Gänge zur omnivoren 7-Gang-Variante aufgestockt werden kann. Bei diesem ersten Gang blieb die Küche aber vegetarisch, ließ mit der Auberginenpaté nebst Getreide- und Saaten-Öl, Sauerteigchip und einer Mayonnaise vom fermentierten schwarzen Knoblauch jedoch ganz klar ihre Genialität erkennen. Die mit harmonisch eingebundenen herben Bitteraromen von Haselnuss tatsächlich ähnlich wie eine Leberpastete schmeckende Auberginencreme profitierte demnach auch sehr von der säuerlichen Frucht grüner eingelegter Erdbeeren, die hier ein harmonisches Spiel der Kontraste anstimmten.
Currywürzige Kapuzinerkressewurzel, tiefe, fast wie karamellisiert wirkende Creme von geschmortem Kohl und ein Pilzschaum mit viel Umami fungierten sodann als harmonisierende Elemente für die solo relativ säuerlichen Wintergemüse, welche hauchdünn geschichtet als Terrine das Zentrum des nächsten Gangs bildeten. Und die im Zusammenspiel, gerade auch mit den knusprigen Majoran-Kartoffelbröseln, ein spannend dynamisches und facettenreiches Ganzes ergaben.
Auch bei der Liaison von geflämmtem Havelzander und geräuchertem Aal gelang es dank Scheiben von säuerlich eingelegtem sowie geraspeltem gegrilltem schwarzem Rettich, ein dynamisch kontrastreiches Geschmacksbild auf den Teller zu zaubern. Eingelegtes Bärlauchblatt und Bärlauchknospen steuerten zudem auf der säuerlich-frischen Seite zur Entstehung eines abermals beeindruckend fein ausbalancierten Ganzen bei, das auf der würzigen Seite außerdem noch vom der Umami-Power eines Rauchaalsuds und eines filigranen Chips in der Waage gehalten wurde.
Mit einem ähnlich weit gedehnten Spannungsbogen gelang das Spiel der Kontraste auch wieder auf der vegetarischen Seite. Diesmal in Gestalt eines rauchigen Yakitori-Spießes von der Schwarzwurzel, der mit fruchtig-säuerlichem Quittenpüree, Sauerkraut-Hollandaise und gerösteter Zwiebel auf dunkler Zwiebelcreme eskortiert wurde. Der Clou war hier aber ein à part zum Schlürfen dazu gereichter Zwiebeltee mit Kaffeeöl, der warmwürzig und bitterherb für einen tiefen markanten Hintergrund sorgte und dem Ganzen durch das gut eingeflochtene Kaffeearoma auch noch einen originellen Dreh verpasste.
Nach Chawanmushi mit Blumenkohl und knusprig geröstetem Buchweizen, der sich mit seiner Nussigkeit nicht nur haptisch gut ins Geschehen einbrachte, gelang es bei dem als „Plunder“ annoncierten und tatsächlich auf den ersten Blick wie eine Art Plundergebäck anmutenden, kross angebräunten Schichtwerk aus dünnen Knollenselleriescheiben und süßlich-röstwürziger Creme von fermentierter Zwiebel wieder vortrefflich, ein ebenso lebhaftes wie fein ausgewogenes Aromenbild zu zeichnen. Hier mit Hilfe von Deichkäsecreme, säuerlichem Püree vom Holzkohleapfel (sic!) und einer intensiv aromatischen Röstgemüsejus, die gewinnbringende Süße und Umami transportierte.
Mit dem der Sage nach im Jahr 1775 von Antonin Carême erfundenen und von Paul Bocuse ins 20. Jahrhundert hinübergeretteten Klassiker „Le lièvre à la royale“ begab sich die Küche dann zum Hauptgang auf das spiegelglatte Terroir der Vergleichbarkeit – rutschte dort zwar nicht aus, kam aber doch etwas ins Schlittern. Denn gemessen am Original oder an einer perfektionierten Kopie wie zum Beispiel aus der Hand von Harald Wohlfahrt respektive dessen Nachfolger Thorsten Michel wirkte die hier zu Porzellan gebrachte Variante des handwerklich höchst aufwendigen Wildhasen-Füllwerks, das lange und exakt schmoren muss, um einiges weniger eindrucksvoll. Was noch nicht mal unbedingt damit zu tun haben muss, dass hier statt der ethisch gewiss zweifelhaften Gänsemastleber unbedenkliche, weil ungestopfte Geflügelleber aus dem Hause Odefey verwendet wurde. Die von verschiedenen Spielarten der Roten Bete und einem Salzpflaumenpüree eskortierte Tranche schmeckte ja wahrlich nicht schlecht, wirkte aber im Vergleich geschmacklich und haptisch eben deutlich gröber, undifferenzierter und weniger tiefgründig. Ein sehr schöner Menühöhepunkt war es trotzdem.
Die von „Weintante“ Lisa Karsten glasweise zu den einzelnen Gängen empfohlenen Gewächse entstammen mehrheitlich der Naturwein-Nische, sind aber zumeist keine borstigen Gesellen, sondern sehr zugängliche und ausgewogene Erzeugnisse. Ausgewogen war auch das Vordessert um ein mit Fenchelsaat ebenso unkonventionell wie unaufdringlich aufgepepptes Sauerkirschsorbet, aber besonders der eigentliche süße Abschluss, bei dem ein Schichtwerk von Boskop-Apfel, einer mit Johannisbeerholz aromatisierten hellen Creme und Holunderbeere von einem saftigen Armer-Ritter-Würfel begleitet wurde. Und somit ziehen sich die nach allen Seiten bestens ausgewogenen Akkorde voll Spannung und Harmonie tatsächlich wie ein roter Faden bis zum Finale durch.
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