Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So | Mittags |
Abends |
Mo-Fr ab 18.30 Uhr, Sa u. So Ruhetag |
Menüs: 120-159 € |
Ein Restaurantkonzept wie dieses kann hierzulande wahrscheinlich nur in Berlin so gut funktionieren. Das winzige Lokal an der belebten Torstraße in Mitte, in dem Gastraum und Küchenbereich etwa gleich viel Platz einnehmen, wirkt auch auf den zweiten Blick mehr wie eine kiezige Szenekneipe als wie ein Ort, an dem anspruchsvolle Küche geboten wird und begleitend dazu nicht minder attraktive Weine oder alkoholfreie Getränke ins Glas kommen. Im Bandol sur mer wird das in der lässig unkonventionellen Umgebung von einem entspannt locker, aber immer sehr aufmerksam agierenden und vor allem in allen Bereichen gut informierten Serviceteam aufgetischt – bei warmem Wetter gerne auf dem kleinen Freisitzbereich draußen vor der Türe.
Zu dem für ein Gourmetlokal unorthodoxen Rahmen passt natürlich die moderne gemüselastige Küche von Chef Andreas Saul perfekt ins Bild. Dessen allabendlich einheitliches Menü hat ein sechsgängiges vegetarisches Grundgerüst, das optional um zwei weitere Gänge mit Fisch und/oder Fleisch erweitert werden kann. Doch das Schönste ist (wodurch sich im Grunde auch unsere hohe Bewertung für die Küche erklärt), dass man es hier trotzdem nicht mit karger Naturküche nach nordischem Vorbild zu tun bekommt, weil Sauls Herz irgendwie auch für die frankophile Klassik zu schlagen scheint und er deshalb genau weiß, wie man Gerichte voll aufladen kann, damit sie Tiefe und Volumen bekommen.
Noch nicht ganz so deutlich wird das in der Regel im Aufwärmprogramm, wo zuletzt eine mit Radieschen, Wildkräutern und mit Goji-Beeren aromatisierter Ricottacreme befüllte knusprige Tartelette sowie eine Kleinigkeit von grünem Spargel und Sauerampfer mit frisch geriebenem Meerrettich unter Espuma von Sauerampfer und Flocken von gebeiztem Eigelb schlank und pur auf den Abend einstimmten. Gefolgt von einer kleinen Brotzeit mit hervorragendem hausgebackenem Sauerteigbrot, Rübenpesto, aufgeschlagener Butter und diversen säuerlich eingelegten Gemüsen mit sehr unterschiedlichem Charakter.
Das war alles schon sehr ansprechend, aber eher noch recht schlicht und produktnah gehalten. Den ersten auch kompositorisch anspruchsvollen Gaumenkitzel bescherte dann die Vorspeise um eine Auberginen-Pate mit eingelegten grünen Erdbeeren vom Vorjahr, Creme von schwarzem fermentiertem Knoblauch, sowie einem filigranen Hippengeflecht von selbigem mit feinflockig gehobelter Haselnuss on top. Das ließ einen ausgewogenen Akkord zwischen vegetabiler Würze, zarter Süße und säuerlicher Fruchtigkeit anstimmen und versetzte die Papillen in Hab-Acht-Stellung.
Eines ist bei einem Abend im Bandol sur mer jedenfalls immer gewiss: man bekommt es mit originellen Gerichten zu tun, die man so sicher noch nie gegessen hat, die aber nichts Experimentelles an sich haben und immer einen auch unter klassischen Gesichtspunkten guten, harmonischen Geschmacksverlauf finden. So wie beim Zwischengang um in vegetarischer XO-Sauce wie ein Risotto gekochte lakto-fermentierte Sonnenblumenkerne als Füllung einer glasigen Zwiebel, platziert auf mit Miso wohlig umamihaft aromatisierter Ziegenkäsecreme, umgeben von grünfrischer Schnittlauch-Vinaigrette.
Und wie schon gesagt, bei aller Modernität und Naturküchen-Faible: die Gerichte im Bandol sur mer funktionieren mehrheitlich deshalb so gut, weil Andreas Saul das französische Küchenhandwerk beherrscht. Und manchmal nimmt er sich auch gern mal traditionellen Rezepturen an und interpretiert sie neu. Zuletzt eine Pâté en croûte von Perlhuhn und Ente, die in recht klassischer Façon als saftige Schnitte mit viel geschichtetem Muskelfleisch der beiden Vögel und sehr wenig Farce zwischen zwei gebackenen Teigschichten auf dem Teller lag, puristisch aber pointiert eskortiert von einem warmwürzig-rauchigen Cremepüree von Barbecue-Backpflaumen und einer schaumigen Dijonsenf-Mayonnaise. Doch damit nicht genug, denn à part wurden Ente und Perlhuhn auch noch von einer tiefschürfenden Essenz und von einem mit Lebercreme und Entenschinkenflocken befüllten knusprigen Tartelette-Schälchen verstärkt, was diesen Gang sehr voll und vielschichtig wirken ließ.
Bei der raffinierten Liaison von Pfifferlingen, Erbsen, Zuckerschoten, saucig vollgesogenen Morcheln, fermentierten schwarzen Johannisbeeren und Bärlauch sorgte eine Misobutter-Hollandaise für das schmelzige Rückgrat und den vollen Zusammenhalt aller Komponenten. Die mit einer Zwiebelcreme zum „Gebäckteilchen“ geschichteten gebackenen Sellerieblätter nebst Püree von gegrilltem „Holzkohle-Apfel“ hatten mit einer tiefen und dichten Röstgemüsejus und einer Nocke feinwürziger Deichkäsecreme gleich zwei verbindende Elemente zur Seite, was zu einem komplexen, dichten, erdig-süßlich-würzigen Geschmackserlebnis führte, bei dem ebenfalls alles in feinster Balance war.
Eingeläutet von einem Schälchen süffigem Soulfood aus Ragout von Keulenfleisch und Innereien von Taube unter sublimem Kartoffelschaum mit krossen Geflügelhaut-Partikeln obenauf kam im Hauptgang die zunächst sous-vide vorgegarte und dann aromatisch befeuernd angegrillte Taubenbrust auf fantastischer Taubenjus angeflattert, die so eigenaromatisch und saftig war, als wäre sie klassisch an der Karkasse gebraten worden. Da brauchte es dann auch tatsächlich nicht mehr als eine kleine Nocke süßlich-herbes Brennesselpüree und einen Klecks Zweierlei Rhabarber (fermentiert und eingelegt), um einen rundum beglückenden, produktfokussierten Menühöhepunkt zu kreieren – übrigens von einem 2016er Garnacha von Artazu aus dem Navarra-Gebiet kongenial begleitet. Nichts Opulentes, nichts Überbordendes, aber viel Kraft und Finesse, straff gebündelt. Sowohl im Glas als auch auf dem Teller.
Angenehm wenig süß abgerundet vom hell-dunklen Kontrast eines rahmigen Milchcremeeis mit Birkensirup und dem eigentlichen Dessert aus fermentierten und marinierten Erdbeeren und Sorbet, Crumbles sowie Pulver von Fichtennadeln, schmelzig unterfüttert von einer an fette Ganache erinnernden Creme aus karamellisierter Buttermilch, war das auch in diesem Jahr wieder eine sehr eingeständige, gut durchdachte und souverän umgesetzte Performance, die der hohen Bewertung vollauf gerecht wurde.
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