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Editorial

Fine-Dining-Inflation, Schablonen-Konzepte, Fake-Guides: was die Gourmetszene in diesen Zeiten so umtreibt und unsere 50 Cent zu diesem und jenem…

So provinziell und dünnbesiedelt die Hauptstadt Berlin aus gastro-kulinarischer Sicht noch war, als wir vor rund 15 Jahren damit begonnen hatten, die deutsche Gourmetlandschaft flächendeckend zu beackern, so dicht, vielseitig, innovativ und wegweisend ist sie heute. Und so ist es auch kein Wunder, dass sich das mittlerweile fast im ganzen Land grassierende „Empty-Seats-Syndrom“, von dem vor allem gute und sehr gute Restaurants befallen sind, bereits 2023 zuerst in Berlin ausgebreitet hatte und Notstandsberichte von Berliner Köchen und Gastronomen wie ein Frühwarnsystem im Rest des Landes die Alarmglocken auslösten.

Die fetten Monate und Jahre der Nach-Corona-Ära, in der die Konsumbereitschaft der Menschen groß und die Reservierungslisten der besten Gourmetadressen lang waren, sind definitiv vorbei. Und es ist aktuell tatsächlich so, dass man in fast allen renommierten Restaurants nicht nur relativ kurzfristig, sondern sogar sehr spontan einen Tisch bekommen kann. In Berlin wurde das anfangs insbesondere auf die Probleme mit dem Flugverkehr und der ausbleibenden internationalen Klientel geschoben, was sicher gerade hier auch eine nicht unwesentliche Rolle spielen wird. Aber das trifft nur auf die Restaurants in der Metropole zu und auch nur auf jene Handvoll Adressen mit internationaler Strahlkraft.

Von der rückläufigen Nachfrage nach hochklassigem Fine dining sind aber inzwischen auch nahezu sämtliche Gourmetrestaurants, auch die auf dem platten Land betroffen. Und das hat selbstredend nichts damit zu tun, dass die Flieger der internationalen Foodies keine geeignete Landebahn in der Gegend finden. Natürlich ist es so, dass der allgemeine Preisanstieg in der Gastronomie, den man schon vor der Rückführung der Mehrwertsteuer auf den normalen Satz von 19 Prozent spüren konnte und der dann mit der Wiedereinführung zu Jahresbeginn 2024 gleich nochmal auf fast allen Speisekarten noch deutlicher wurde, bei vielen potentiellen Gästen zur Konsumzurückhaltung geführt hat, keine Frage. Es ist aber auch so, dass der Markt mittlerweile stark übersättigt ist, weil ein Fine-Dining-Überangebot herrscht.

Und dabei ist es nach unserer Einschätzung der Lage noch nicht mal so, dass in der Bevölkerung das Interesse an guter und sehr guter Küche mit dem sprunghaften Anstieg an ambitionierten Restaurants nicht auch gewachsen wäre. Das Problem scheinen eher die unzähligen stereotypen Konzepte zu sein, die auf das immer gleiche „Sterneküchen-Schema“ abzielen und ganz so wirken, als ob sie auf dem Reißbrett entstanden wären, weil sie überwiegend dieselben Merkmale aufweisen. Das fängt beim modischen Casual-Stil der Einrichtung an, geht bei festen Menüs ohne Auswahlmöglichkeit weiter, reicht über identische Produktauswahl, oft sogar offensichtlichem „copy and paste“ bei den Kompositionen auf den Tellern und hört bei überteuerten alkoholfreien „Getränkereisen“ nach Schema X noch längst nicht auf. Die Gourmetlandschaft in Deutschland hat definitiv ein Mainstream-Problem, allerdings wird nicht unbedingt ein Mehrheitsgeschmack für die breite Masse bedient, sondern eine ganz bestimmte Art der Gastronomie zelebriert, von der sich Köche und Gastronomen versprechen, damit state of the art zu sein, automatisch bestimmte Auszeichnungen zu bekommen und ganz vorne mitzuschwimmen.

Doch erreichen sie damit auch noch genügend Gäste? Die wünschen sich nämlich sehr oft nicht nur mehr stilistische Abwechslung, sondern auch die Freiheit, zu einem gewissen Maß selbst entscheiden zu können, was und wieviel sie essen. Wir sind uns zwar sicher, dass die meisten Leute, die mehrmals im Jahr oder sogar im Monat gehobene Restaurants besuchen und viel Geld fürs Fine dining ausgeben, nicht auch sehr gerne immer wieder mal bereit sind, ein festes und unverhandelbares Menü zu essen, sogar Spaß daran haben, sich auf eine Carte blanche einzulassen – sofern das Menü so individuell und die Küche so hochklassig ist, dass sie das blinde Vertrauen rechtfertigen. Für bemühte Darbietungen gediegener Langeweile im Mittelmaß, selbst grundsätzlich sehr solide, überdurchschnittliche Küchenleistung, sind immer weniger Feinschmecker bereit, dem Prinzip „gegessen wird, was auf den Tisch kommt“ zu folgen. Und die meisten Leute wollen für die meist mit diversem Vorgeplänkel, überflüssigen Intermezzi wie Pseudo-Erfrischungen, Vordesserts und Nachher-Süßigkeiten künstlich in die Länge gezogene Speisefolgen definitiv auch nicht vier oder fünf Stunden im Restaurant sitzen.

Natürlich sind diese ganzen Dinge aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen und organisatorischen Gründen nachvollziehbar, weil es gerade für kleinere Restaurants ohne Hotelbetrieb oder andere Möglichkeiten der Quersubventionierung im Hintergrund oft gar nicht anders darstellbar ist, dieses „Sterneküchen“-Konzept mit all den Erwartungshaltungen, die das Publikum an diese elitäre Art der Gastronomie nun mal selbstverständlich (oder auch nur vermeintlich?!) hat, zu realisieren. Aber vielleicht liegt genau hier der Hase im Pfeffer und es wäre für viele Restaurants eine Chance, eigenständiger und letztendlich auch erfolgreicher zu werden, wenn sie das Heil nicht mehr primär in bestimmten Schubladen suchen und sich nach prestigeträchtigen Auszeichnungen verrenken würden.

Viel mehr „out of the box“ zu denken und sich zur Not konzeptionell auch mal von dem zu entfernen, was bestimmte Guides vielleicht sehen wollen, könnte für viele ein Weg sein, sich wieder mehr einem breiteren Publikum zu öffnen, attraktiver zu werden, und trotzdem keine Abstriche an der Qualität der Küche zu machen. Einfach richtig gut kochen: mehr Geschmack, weniger Konzept. Den Gästen wieder mehr Freiheiten einräumen, für eine gute Stimmung im Restaurant sorgen, den Spaß am Essengehen und am Genuss nach vorne stellen und nicht die Gäste in einen festgelegten Ablauf integrieren. Dann kommt die Konsumbereitschaft sicher auch von allein.

Und wenn die Qualität stimmt, kommen auch Auszeichnungen ganz von allein. Zumindest von Restaurantführern, die erstens offen sind für völlig unterschiedliche Konzepte und zweitens tatsächlich testen, also nicht nur irgendwo abschreiben. Von jenen Fake-Guides, die sich ihre Texte weitestgehend irgendwo im Internet zusammenfantasieren, gibt es mittlerweile nämlich leider mehr als genug! Womit wir bei einem anderen Thema wären, das nicht nur uns tangiert, sondern auch die Gastronomie und letztendlich auch das gesamte Gourmetpublikum endlich mehr beschäftigen sollte und kritischer hinterfragt gehört. Auch und gerade von den immer eifrig über Restaurantführer und Auszeichnungen berichtenden Redaktionen der Zeitungen, für die sämtliche Strukturen auf diesem Feld offenbar in Stein gemeißelt sind.

Dabei hat sich so viel verändert. Denn allein das Finanzierungsmodell, mit dem sich so ein Restaurantführer vielleicht vor zwanzig Jahren, als es noch kein Internet gab, über Wasser halten konnte, funktioniert im Jahr 2025 längst nicht mehr. Den Guide, der heute tausend und mehr Restaurants jedes Jahr testet und sich über Buchverkäufe und Werbeanzeigen finanziert, gibt es nicht mehr. Selbst der so angesehene Michelin-Führer nutzt sein internationales Renommee und lässt sich mittlerweile in bestimmten Ländern wie etwa Österreich nachweislich über Steuergelder der Tourismusbehörden locken – für die Werbetrommel des Landesmarketing natürlich ganz besonders attraktiv, wenn auch möglichst viele Sensationsmeldungen über neue Sternerekorde dabei herauskommen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Aber auch wir müssen schließlich damit leben, immer wieder mal zumindest in dem Verdacht zu stehen, jene Restaurants in unserem Guide, die sich an unserem längst etablierten Anmelde-Prozedere beteiligen und die kostenpflichtige Berücksichtigung mit einem umfangreichen Premium-Eintrag buchen (zu erkennen am langen Text mit Bild, die Kurzeinträge sind hingegen kostenlos…), mit Samthandschuhen anzufassen. Wer sich aber etwas eingehender damit beschäftigt, wird schnell feststellen können, dass wir überall da, wo es uns angebracht erscheint, auch dann nicht von Kritik oder Herabstufung der Bewertung absehen, wenn das Restaurant einen bezahlten Eintrag gebucht hat. Wir sind käuflich, aber nicht bestechlich. Kritisch, aber konstruktiv. Und genau das schätzen nicht zuletzt auch die meisten Gastronomen und Köche, selbst wenn sie mal schlechter abgeschnitten haben als vielleicht erhofft.

Ein anderes Finanzierungsmodell wäre für uns überhaupt nicht denkbar. Und letztlich ist es sowieso längst überfällig, die antiquierte Haltung, dass professionelle und seriöse Restaurantbewertung und -kritik für die Restaurantbetriebe kostenlos sein muss, zu überdenken und über Bord zu werfen. Andersherum wird ein Schuh draus. Was kostenlos ist, taugt meist nichts. Denn Qualität kostet und irgendjemand muss es bezahlen. Das geneigte Gourmetpublikum tut es nicht. Jedenfalls nicht mehr, seit man es gewohnt ist, die Bewertungen aller Guides ohnehin kostenlos im Internet zu bekommen. Wir haben uns deshalb schon vor Jahren auf ein eigenes Modell der Refinanzierung konzentriert und veröffentlichen zwischenzeitlich sogar viele Inhalte frei und unverschlüsselt im Gusto Online-Guide und in der Gusto-APP. Überwiegend finanziert von einem großen Teil der Restaurants. Was die davon haben? Professionelles Feedback, konstruktive Anregung und die Gewissheit, auch wirklich getestet zu werden. Und davon profitieren schlussendlich alle Nutzer unseres Guides, also auch Sie! 

Mit kulinarischen Grüßen,

Markus Oberhäußer, Redaktionsleiter

Das GUSTO-Lexikon der Köche

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