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Fotos: Horváth & GUSTO

Horváth

Paul-Lincke-Ufer 44a
10999 Berlin (Kreuzberg)
030-61289992

aktualisiert: 05 / 2023
Mo Di Mi Do Fr Sa So
Mittags
Abends
Mi-Sa ab 18.30 Uhr, So-Di Ruhetag
Menüs: 170-220 €

Seit der Renovierung und Umgestaltung des langen, schlauchartig schmalen Restaurants am Kreuzberger Paul-Linke-Ufer hat das einst von Jeannine Kesslers und Sebastian Franks Vorgängern als recht klassisches österreichisches Lokal mit traditioneller Küche ins Leben gerufene Horváth nochmal viel Flair dazugewonnen. Es wirkt jetzt insgesamt deutlich stilvoller und hat mit dem über 10 Meter langen knallig bunten Wandgemälde des Berliner Künstlers Jim Avignon, das ein wenig wie Picasso in Pop Art anmutet, sogar ein markantes Alleinstellungsmerkmal. Und damit passt das Ambiente nun perfekt zur hochkreativen Küche des nördlich des Neusiedler Sees an der Grenze von Burgenland und Niederösterreich geborenen und aufgewachsenen Kochkünstlers Sebastian Frank, denn die ist nicht nur in Berlin und Deutschland, sondern auch auf internationaler Bühne ein Unikat. Und damit gehört er zu den ganz wenigen hierzulande praktizierenden Köchen, von denen man behaupten kann, eine ganz eigene, persönliche Handschrift zu haben.

Nur auf den ersten allerersten Blick sieht es nämlich so aus, als ob unser Koch des Jahres aus dem Jahr 2015 im Mainstream der neuen radikal regionalen Naturküche mitschwimmen würde. Wir würden das, was im Horváth innerhalb eines achtgängigen Menüs geboten wird, als moderne, gemüselastige Avantgardeküche mit südosteuropäischem Einschlag bezeichnen, könnten damit aber auch nur ganz grob umreißen, was hier wirklich geboten wird. Und das zählt für uns nicht erst seit gestern zu den spannendsten, kreativsten und vor allem eigenständigsten Küchenstilen in der deutschen Top-Gastronomie und hat mit diesem Originalitätsbonus auch in diesem Jahr unsere Höchstbewertung wieder zweifelsfrei verdient.

Das Kulinarium weicht in fast jeder Beziehung von den Normen der traditionellen Haute Cuisine ab und bietet den Gästen geniale, immer sehr neuartige und doch irgendwie vertraute Geschmackserlebnisse. Die entstehen durch Sebastian Franks unkonventionelle Kreativität, seinen wild sprudelnden Quell an originellen Ideen, seine ungebändigte Experimentierlust und vor allem sehr viel gutes Gespür für Produkte und Aromenkombinationen. Und mit seiner unangepassten Art zu kochen, wirkt der Chef auf seine Gäste ebenso inspirierend wie polarisierend, wenngleich man bei ihm keine schräg schmeckenden Experimente fürchten muss. Im Gegenteil: Sebastian Franks Küche ist trotz ihrer Andersartigkeit ausgesprochen geschmackssicher und auch wenn sie bisweilen Irritationen provozieren mag, vielmehr auf Harmonien getrimmt, als auf Dissonanzen.

Obgleich das Horváth kein vegetarisches Restaurant ist und es außer der Reihe sogar immer wieder mal einen „Schnitzel-Sonntag“ gibt, kommt das normale abendliche Menü mittlerweile nahezu ohne tierische Produkte aus. Bei unserem jüngsten Besuch hätten Vegetarier lediglich bei einer zu maritimer Karamellsauce verarbeiteten Krustentierbisque und bei einem anderen Gericht wegen einer Art Schinkensud gezuckt. Ansonsten war die ganze Speisefolge ohne Fleisch und Fisch komponiert. Sie begann zuletzt mit viel Vertrautem. Zum Beispiel dem legendären Lángos mit Knoblauchöl, diesmal mit Sauerrahm und fein gehobeltem Bergkäse akzentuiert, oder einer Amuse-Portion der auch schon fast zum Signature Dish avancierten „Gemüsesuppe“, die sich aus dem Zusammenfluss von kalter Gemüsecreme, reduzierter Sahne und Zitronenöl generiert. Solche maximal minimalistischen, meist in subtile Geschmacksexplosionen mündende Gerichte sind typisch fürs Horváth. Man fragt sich erst, was das jetzt soll – die Antwort folgt aber umgehend mit dem ersten Löffel. Und zwar eindrucksvoll!

Als Klassiker der Horvath-Küche lässt sich mittlerweile auch die mit der Zeit texturell und aromatisch perfektionierte, in der Hauptsache aus Kräuterseitling hergestellte und mit einer Reduktion aus Apfel-Balsamessig von Gölles glasierte falsche Leberpraline bezeichnen. Cremig, schmelzig und doch fest ist die Konsistenz des aus den festfleischigen Pilzen hergestellten Geflügelleber-Imitats, das von der karamelligen Essiglasur die entsprechende Süße, Säure und aromatische Akzentuierung verliehen bekommt. Und, ja: für die à part dazu servierte Scheibe Butterstriezel mit Marillenkernöl-Butter würden wir nach wie vor jede noch so gute Brioche links liegen lassen.

So richtig neu war für uns diesmal erst der profan „Spargelkaltschale“ genannte nächste Gang, der in zwei Aufzügen serviert wurde und für den tatsächlich erstmal eine weiße Schale mit kaltem weißem Inhalt in Gestalt von gekühlter Spargelsuppe mit etwas Knollensellerie-Auszug auf den Tisch kam, in die dann nur noch ein paar Tropfen Kirschkernöl gegeben wurde. Allein das war auf wundersame Weise wieder so ein Horvath-typischer, profan puristisch anmutender aber originell wohlschmeckender Gang, der allerdings noch um ein weiteres kleineres Schälchen ergänzt wurde, in dem gebeizter und gegrillter weißer Spargel mit in Korn eingelegten Kirschblüten auf einem würzigen Schinken-Gewürzauszug lagen. Auch das wieder sehr originell, einerseits vertraut, anderseits neuartig und unvergleichlich.

Originell und unvergleichlich sind auch die eigens von der Küche hergestellten alkoholfreien Begleitgetränke, die als ersthafte Alternative zum Wein ausschließlich sehr leichte und kaum Süße flüssige Kompositionen ins Glas bringen. Ein Gemisch aus entsaftetem Radicchio, Holunderblütensirup, Chardonnay-Essig und Zitronenöl zu besagtem Spargel-Gericht zum Beispiel. Kreativ, unvergleichlich und sehr wohlschmeckend ging es aber auch mit dem Gericht „Bittersalate“ auf den beiden nächsten Tellern weiter. Auf dem einen ein von Radicchio ummanteltes Parfait aus salzigem Sauerrahm, in dem vor dem Einfrieren das Weiße der Bittersalate und kandierte Zitronenzesten eingelegt waren, kombiniert mit der bereits eingangs erwähnten Flusskrebsbisque-Karamellsauce. Auf dem anderen Teller eine mit geschmortem Radicchio getoppte Kartoffelbisquit-Schnitte auf Zitronen-Buttercreme. Die Bitteraromen beider Teller wurden vom alkoholfreien Begleitgetränk, einem eigentlich zufällig als Unfall entstandenen Gemüsebieressig, kongenial aufgegriffen und potenziert.

Das ein auf opulente, elaborierte klassisch französische Gourmetküche konditionierter Feinschmecker unter Umständen mit einem Gericht wie dem um mit Hilfe von Joghurtkulturen gestockte Sahne, die man zunächst mit intensiver Paprika-Minz-Reduktion und dann mit einem Sirup aus Knoblauch und Kümmelessig aromatisieren darf, fremdeln könnte, liegt auf der Hand. Aufgeschlossene, in erster Linie an Geschmack interessierte Esser werden an solch spannendem Gaumenkitzel aber ihre wahre Freude haben. Begleitend dazu bescherte die alkoholfreie Getränkebegleitung ein auf Molke basierendes Getränk mit Meerrettich, Leindotteröl und Honig, das nicht weniger aufregend war.

Und selbst wer im Anschluss bei „Kruste, Rauch und Sliwowitz“ dem Storytelling vom verrauchten Wiener Wirtshaus unter Umständen nicht ganz folgen kann, wird ganz sicher mit dem Gericht dahinter, das sich aus einer Creme aus gestocktem Eigelb mit dem slawischen Pflaumenbrand Sliwowitz und Estragon, einer geräucherter Blumenkohlcreme, krosser gerösteter Hefe und mit rohen Topinamburwürfelchen und Leindotteröl vermengtem Felchenkaviar etwas anfangen können, es vielleicht sogar genial finden. Denn auch hier gab es unterm Strich wieder viel Originalität und herzhaft rustikalen Wohlgeschmack, der einmal mehr im krassen Widerspruch zur abstrakten Optik stand.

Schon deshalb verharrten wir auch für den folgenden Hauptgang noch allzu gerne ein wenig länger in dem Wiener Beisl, denn es folgte mit „Schwammerl im Wirtshaus“ eine ähnliche Konnotation, für die vom typischen österreichischen Schweinsbratengeschmack bis zum Beilagen-Salatteller verschiedene Geschmäcker imitiert und dekonstruiert wurden: die Fleischkonsistenz von in Mandelöl getränktem und gedämpftem Seitling, die Kruste die Würze und die Sauce durch eine Reduktion und knusprig Geröstetes von Knoblauch, Kümmel und Champignons, der Salat von marinierten Trieben verschiedener Wurzelgemüse und das Gelee von weißen Johannisbeeren sollte vermutlich die Salatsauce darstellen. Das ist natürlich in gewisser Weise sehr verspielt und avantgardistisch, aber genau darin liegt gerade der Reiz, weil der Geschmack eben gar nichts Abwegiges an sich hat.

Auch nicht der von Desserts wie „Marzipanaromen“, bei dem mit Hilfe von mit Amaretto und Marillenkernöl abgeschmeckter Kürbiscreme, geeister Marillenkerncreme, Haselnusscreme mit Zwetschgenkernöl und einer Vinaigrette aus den Aromen von Marillenkernen, Zitrone und Fichtensprossen der Geschmack von Marzipan erzeugt wird, ohne dass Marzipan im Spiel ist. Oder „Omas Apotheke“, ein aus Maiwipferlhonig, Nussbutter und mit Thymian und Kümmel abgeschmecktem gefrorenem Zitronenwasser kreierter erfrischender Abschluss.

Einzig bei der traditionell zum Abschluss als kleine köstliche Provokation gereichten „Praline“ aus Schweineblut und Karamell, deren schmelzige Melange in eine hauchdünne Reispapierfolie gepfropft ist, scheiden sich offenbar ein wenig die Geister. „Man liebt sie, oder man hasst sie“, schmunzelt der neue Sommelier Michael Stiel bei der Übergabe. Wir lieben sie. Und wir würden jede Wette eingehen, dass das jedem Gast so gehen würde, wenn er nicht wüsste, um was es sich dabei genau handelt.

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