Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So | Mittags |
Abends |
Mi-Sa ab 18.30 Uhr, So-Di Ruhetag |
Menüs: 235-335 € |
Das große, weitläufige Gebäudeensemble in dem für das Chiemgau typischen alpenländischen Stil am Ortsrand von Grassau, was nur wenige Kilometer vom Chiemseeufer entfernt liegt, strahlt schon rein äußerlich gediegenen ländlichen Luxus aus. Und auch drinnen lässt schon die großzügige Empfangshalle erkennen, dass es hier an nichts fehlt. Die schier unendlichen Weiten, die man auf der Strecke von dort bis zum nobel dunkel gestalteten Gourmetrestaurant unter der Federführung von Küchenchef Edip Sigl durchschreitet, machen zudem deutlich, dass man im Achental-Resort auch gastronomisch breit aufgestellt ist, denn da sieht man unterschiedliche Lokale, eine Bar, einen bewirteten Loungebereich…
Am Ort des Fine-Dining-Geschehen selbst staunt man ebenfalls über unfassbar viel Genrosität. Das geht bei der schieren Raumfläche los, die es zulässt, die nicht wenigen Tische in sehr weitem Abstand voneinander aufzustellen und hört bei der großen Parade an einstimmenden Küchengrüßen sowie dem umfänglichen Brotservice noch längst nicht auf. Im Zuge des opulenten Präludiums kann man zudem bestaunen, welch extrem hoher Aufwand hier vom Team Edip Sigl auch im Detail betrieben wird, denn da wird so kleinteilig und augenfällig verspielt gearbeitet, wie in kaum noch in einem anderen Spitzenrestaurant hierzulande.
Dass der Chef großen Wert auf eine originelle Tellersprache legt und sich – ganz ähnlich wie seinerzeit Christian Jürgens – gerne optisch neckischer Stilmittel bedient, zum Beispiel bestimmte Objekte imitiert oder Stillleben kreiert, gehört ebenfalls zu den Erkennungsmerkmalen Sigls Küche, deren Niveau sich in den vergangenen Jahren und insbesondere seit seiner Zeit im Münchner Les Deux deutlich gesteigert hat.
Auch jenseits von Fingerfood gibt es im Aufwärmprogramm auf kleinen Tellern schon einiges zu erleben: Die marinierte und mit einem Zweig von eingelegtem Meerfenchel belegte Scheibe einer Amela-Tomate beispielsweise lag auf einer Creme aus Ziegenfrischkäse und wurde von einer in Sachen Säure und Umami grenzwertig intensiven Vinaigrette auf Basis von Basilikumöl, Paprika und Chardonnayessig getragen. Aromatisch feiner gestrickt, aber deutlich komplexer wirkten die nächsten beiden Grüße, die sich einmal um Renke und die Leitaromen von Pernod, Fenchel und Hanfsamen und einmal um Störkaviar, Erbse, frische grüne Mandeln und krosse Hühnerhaut drehten.
Auf im Tellerboden gestocktem Anisgelee thronte dann beim ersten offiziellen Gang grob gewürfeltes und defensiv gewürztes Tatar vom Chiemsee-Zander, das mit Schuppen verschiedener eingelegter Rettiche bedeckt und mit Fingerlimes-Perlen sowie einer Nocke Güll-Kaviar getoppt war. Eine Vinaigrette von Zitronenverbene knüpfte mit dem typischen Eisenkrautaroma, feiner Säure, aber auch zarter Hintergrundwürze sehr harmonisch an den Mitstreitern an und komplettierte das nuancierte, perfekt ausgewogene Geschmacks- und Texturenbild, bei dem alles sanft ineinandergriff, nichts zu viel und nichts zu wenig war.
Nichts zu viel und nichts zu wenig war auch garantiert beim Langustino aus dem „Around the world“-Menü – und zwar sowohl proportional, als auch rein quantitativ, denn vom Krustentier gab’s nicht bloß ein Mordstrumm von Schwanz, sondern à part auch noch die spicy glasierte Schere (mit Sauce Hollandaise zum Dippen) und jede Menge vollmundige Bisque, die auch zur Selbstversorgung in großzügiger Menge im Saucenkännchen am Tisch verblieb. Erbse und weißer Spargel unter einer schmelzigen dünnen Lardo-Schicht auf dem Krustentier und eine Erbsencreme sowie wilder Spargel daneben sorgten für ein doch recht klassisches und gediegenes saisonales Geschmacksbild – aber mit deutlichen, markanten Konturen und sehr schlank, also ganz zeitlos umgesetzt.
Genau wie das von markanter weißer Pfeffer-Schaumsauce begleitete und mit Kalbsglace sowie Schnittlauchmayo glasierte Bries, dem mit knackigen Kopfsalatstücken und Knusperbeflockung aus Speck, Sonnenblumenkernen und Schnittlauch ein federleichtes Umfeld zur Seite gestellt war. Als herausragend erwies sich qualitativ auch die folgende Rotbarbe mit einer herbsüßlichen Glasur und Vinaigrette von Orange, Kaffirlimettenschaum und jungem blanchiertem sowie mariniertem Spinat als kleines Päckchen daneben.
Aber auch der auf dem Holzkohlegrill quasi als „Steckerlfisch“ rauchig finalisierte Saibling, der ganz unverkünstelt mit kleinen dünnen Röstbrottalern, die wiederum mit Kürbiskernölcreme und Pfifferling belegt waren, auf einem Sauté aus Pfifferlingen, Erbse und Saiblingskaviar angerichtet war, konnte überzeugen. Als ein eher herzhaftes, feinwürziges Gericht ohne Kontraste und scharfe Konturen, aber mit feiner Linienführung.
Ein hervorragendes Produkt repräsentierte auch das Rückenstück vom heimischen Achental-Wagyu, das mit einer mäßigen Marmorierung angenehm bissfeste Fleischsstruktur mit saftigem Fettschmelz in ein köstliches Verhältnis brachte. Angelehnt an ein klassisches Szegediner Gulasch gab es dazu geschmortes Kraut, geräucherte und gegrillte rote Paprika, eine Schmandcreme und eine dunkle Sauce auf Kalbsjusbasis, die ebenfalls rauchige Paprikaaromen in sich trug. So entstand tatsächlich auch hier ein sehr traditionelles, authentisch unverfälschtes Geschmacksbild, das in Edip Sigls Gourmetversion eben nur in jeder einzelnen Komponente deutlich feiner gezeichnet war als jedes bodenständige Original.
Im Rahmen der alkoholfreien Getränkebegleitung gab’s dazu eine Cuvée aus Oolong-Schwarztee und Saft von roten Johannisbeeren, was mit seinen herben Noten sehr gut mit den fruchtigen Rauch- und Krautaromen des Gerichts korrespondierte. Überhaupt beweist Sommelier Iiro Lutter nicht nur bei seinen Weinempfehlungen ein feines Händchen und einen geschulten Gaumen, sondern auch bei den von ihm meist auf Teebasis kreierten nullprozentigen Begleitern – etwa einem Traubensaft von Sauvignon blanc und Anis-Fenchel-Kümmel-Tee zum Saibling oder Saft von Karotte und Apfel vom Südtiroler Erzeuger Kohl im Zusammenspiel mit Eisenkrauttee zur Langustine.
Aber auch die Pâtisserie hat einiges drauf und schickte zunächst ein Vordessert von Roter Bete und Joghurt, Vanille und Haselnuss, gefolgt von einer etwas feisten, mit Erdbeere gefüllten Joghurtnocke nebst Sauerampfersorbet und filigraner Honighippe, die auf aromatische und erfrischende Art von einem Sud aus fermentierten Walderdbeeren getragen wurden. Fast überflüssig zu erwähnen, dass auch bei den Petits fours nochmal alle Register der Gestaltungsfreude gezogen werden und von Toffifee über imitierte Eicheln bis zu Erdbeertarte und hausgemachten Pralinen nicht nur viel für den Gaumen, sondern auch fürs Auge geboten ist.
Was den hohen handwerklichen und technischen Aufwand, die Präsentation und die gesamte Hardware angeht, wird im Restaurant ES:SENZ kaum etwas ausgelassen und die Küche spielt in diesen Punkten sicher schon jetzt ganz oben mit. In Sachen Komposition und Individualität (eigene Handschrift), aber auch beim allerletzten Schliff mancher Kompositionen (Trenn- und Tiefenschärfe), sehen wir indes hier und da noch etwas Luft nach oben. In Anbetracht der enormen Entwicklung in den vergangenen drei Jahren würden wir uns aber nicht wundern, wenn sich auch diesbezüglich in naher Zukunft noch einiges tut…
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