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Dessert-Dining? Während viele konservativ gepolte Gourmets mit dem Konzept eines reinen „Dessert-Restaurants“ nach wie vor etwas zu fremdeln scheinen, erfreut sich das kleine Coda von und mit Top-Patissier René Frank bei einem eher jungen, experimentierfreudigen Publikum schon länger größter Beliebtheit und ist nicht selten restlos ausgebucht. Dabei braucht es für den Genuss des bis zu siebengängigen Menüs, das grundsätzlich inklusive passender Getränkepaarungen (auf Wunsch alkoholfrei) kredenzt wird, gar nicht unbedingt einer überdurchschnittlich großen kulinarischen Aufgeschlossenheit oder Affinität für Süßes. Denn die innovativen desserthaften Kreationen, die hier in einer offenen Küche vor den Augen der Gäste entstehen, sind zum einen gar nicht sehr süß, manchmal sogar eher herzhaft, etwa wenn Käse im Spiel ist – und zum anderen trotz ihrer bisweilen sehr unkonventionellen Art immer sehr geschmackssicher komponiert.
Man muss also wirklich keine Berührungsängste haben, wenn man an der Klingel dieses ungewöhnlichen und unauffällig getarnten Gourmetlokals in Kreuzberg schellt, um Einlass in die schummrig illuminierte Welt der vielleicht abgefahrensten und besten Desserts der Hauptstadt zu bekommen. Dort am Tresen oder an einem der schlichten kleinen Tische Platz genommen, geht es schon bald los mit neckischen Kleinigkeiten, die zwar noch nicht das ganze technische Vermögen dieser High-End-Patisserie zeigen, aber dem Gast doch schon eine ganz gute Idee davon geben, was ihm hier in den folgenden zwei, drei Stunden so alles an kurzweiligen Geschmackserlebnissen begegnen wird. Zuletzt machten im Vorfeld ein „Gummibär“ aus Gelber Bete, ein Churro-Kringel mit einem würzig-karamelligem Dip, der an Miso erinnerte, sowie ein „Beefcake“ auf Basis von Mandel und Süßkartoffel, der mit Ochsenmark gebacken war und so etwas sehr herzhaft-umamiwürziges hatte, äußerst neugierig auf das eigentliche Menü.
Das startete zuletzt mit einer Schale, deren halber Rand mit einer überraschend aromatischen Mascarponecreme ausgestrichen war, die mit knusprigen Wirsingpartikeln und rohen Kakaobröseln beflockt wurde. Im Tellerboden angegossen eine mit Tapioka vermengte Grapefruitvinaigrette mit Thymianflavour, die sich mit der Süße und dem laktischen Schmelz der Mascarpone, die hier als Träger und Bindeglied für die übrigen Aromen fungierte, zu einem spannenden Akkord verband.
Meist sind es einfach unkonventionelle Kombinationen mit einem überraschenden Twist, die hier zu einem harmonischen Ganzen zusammenfinden. So wie bei dem mit saftigen Zwetschgenstücken durchzogenen Walnusskuchen, der Basis des nächsten Gangs war, bei dem Zwetschgenkaramell und eine reduzierte Glace auf Basis von Zwetschgensud das Fruchtige und Süße unterstrichen, auf der anderen Seite aber auch eine mit Miso abgeschmeckte Buttercreme und knusprige Dulse-Alge dem Ganzen eine rauchig-herzhafte Facette verliehen. Wie alles hier war das aber eben so fein und gekonnt abgeschmeckt, dass das Ergebnis überhaupt nicht experimentell, sondern wunderbar harmonisch und rund schmeckt.
Oft spielt tatsächlich auch die Paarung mit den stets sehr schlank gehaltenen Begleitgetränken eine nicht unwesentliche Rolle, weil hier im Zusammenspiel nochmal ganz neue Akkorde entstehen, die für einen Aha-Effekt sorgen. Beim Pairing von Raclette-Waffel, Joghurt und Kimchi-Pulver mit einem Drink aus Berliner Weiße, Aquavit und Dillgeist war es insbesondere das kümmelwürzige Aroma im Glas in Kombination mit dem herzhaften Käse, was einen zwar irgendwie vertrauten, in dieser Zusammenstellung aber eher ungewöhnlich wirkenden Geschmack initiierte.
Bei der mit sahnig-moussigem Tofu gefüllten geeisten Roten Bete, die von weiteren Bete-Komponenten wie einer dünnen Karamellhippe und von Moosbeere umspielt wurde, setzte zwar ein Verjus-Gel hellfruchtige, straff säuerliche Kontrastpunkte zum erdig-süßlichen Grundcharakter der Komposition – so richtig facettenreich und originell wurde es aber erst in Kombination mit dem Mix aus Kirschbrand, Waldhimbeerbrand und Wermuth, durch den hier mit viel heller roter Frucht und Würze ein Spannungsbogen aufgezogen werden konnte.
Ähnlich war der mit Apfelreduktion versetzte Sherry Amontillado eine kongeniale Ergänzung zum würzigen Cironé-Käse, der heiß und kurz als „Cheesekake“ mit dünner fester Hülle und flüssig-cremigem Kern gebacken war und mit knusprigen sowie fleischigen Komponenten von Knollensellerie ergänzt wurde. Allerdings erst im Zusammenspiel mit der herben Kaffeejus, die wohldosiert am Tisch dazukam. Nicht ganz so begeistert waren wir von dem als „Signature-Snack“ mit stolzem Preisaufschlag kredenzten Eis am Stiel mit Kaviar und dessen Kombination mit einer 2008er Auslese Graacher Himmelreich von J. J. Prüm. Prinzipiell eine sehr gute und spannende Idee, allerdings kam hier nach unserem Gusto der ganz mild gesalzene Osietra-Kaviar als dünn mit weißer Schokolade überzogene Hülle des mild nussigen Stieleises aus Topinambur und Macadamia nicht so zur Geltung, wie wir das gehofft hatten. Da wäre als progressiver Gegenpart zur vorherrschenden Süße, die durch das Zutun der Prüm-Auslese auch noch forciert wurde, etwas mehr Mineralität und Salzigkeit schön gewesen.
An der Stelle, wo in einem konventionellen Menü gemeinhin der Hauptgang kommt, sorgte rauchiger Flavour der Holzkohle von Deutschlands letztem Köhler aus dem tiefen Schwarzwald für einen markanten Akzent. Mit der war nämlich kurz zuvor im Big Green Egg ein Apfelring gegrillt worden, welcher nebst dünnem knusprigem Hafergebäck und Eis, gebackenen Schalottenringen und eingelegten Sultaninen als vorletztes Douceur mit bestens eingebundener herzhafter Note aufgeboten wurde. Und zu guter Letzt, da wo im Normalfall erst der süße Teil einer Speisefolge beginnt, setzt das Coda-Team die vielleicht klassischste Komposition des Abends ein – wenngleich der sehr tiefe und würzige nussig-schokoladige Akkord mit dem Zutun von Shiitake-Pilz und Kichererbse ganz und gar nicht klassisch erzeugt wurde.
Die Schokoladenpralinen zum Kaffee oder Digestiv machen zunächst einen gewöhnlichen oder zumindest gewohnten Eindruck, spielen aber auch mit originellen Kombinationen und Akzenten wie etwa Olive und beschließen deshalb sehr adäquat das äußerst kurzweilige Dessertvergnügen mit ausgefuchster Dramaturgie, die dem Gast eine aromatisch ausgewogene Speisefolge beschert. Und so fühlt sich auch noch später nicht wirklich so an, als ob man einen Abend lang lauter Nachtisch gegessen hätte.
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