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Fotos: Lorenz Adlon Esszimmer

Lorenz Adlon Esszimmer

im Hotel Adlon
Unter den Linden 77
10117 Berlin (Mitte)
030-22611960

aktualisiert: 07 / 2023
Mo Di Mi Do Fr Sa So
Mittags
Abends
Mi-Sa ab 19 Uhr, So-Di Ruhetag
Hauptgerichte: 85-180 €,
Menüs: 210-290 €

„Nun also läutet er mit seinen gerade mal 31 Jahren eine neue Ära im Gourmetrestaurant des legendären Hotels am Brandenburger Tor ein“, schrieben wir vergangene Ausgabe über Reto Brändli, der erst 2022 die Nachfolge von Hendrik Otto im Lorenz Adlon antrat. Der charmante und gelassene Brändli mit seinem typisch schweizerischen Vor- und Nachnamen kam direkt aus dem Schwesterhotel des Kempinski in St. Moritz, dem Grand Hotel des Bains, nach Berlin. Dort war er als federführender Koch im renommierten Restaurant Cà d’Or tätig, bevor ihm quasi hausintern die vakante Stelle in der deutschen Hauptstadt angeboten wurde.

Nachdem wir hier bereits im vergangenen Jahr, kurz nach Brändlis Einstieg, auf sehr hohem Niveau gegessen hatten, an manchen Stellen aber noch etwas die Strahlkraft und Konsequenz vermissten und die 9 Pfannen nicht ohne ein wenig Vorschusslorbeer vergeben hatten, waren wir sehr gespannt, wie sich der junge motivierte Koch nun in Berlin eingelebt hat. Scheinbar bestens! Denn durch die Bank wurden die Gerichte diesmal der Auszeichnung zu hundert Prozent gerecht, konnten an Tiefenschärfe und Charakter zulegen, wirkten hochklassisch, aber federleicht, akzentuiert, aber lässig, royal, aber nicht protzig.

Das gilt auch für den Service, der jedes Adlon-Klischee von Stuck, Staub und Stock als billiges Vorurteil abstraft und unter der Leitung von Maître Oliver Kraft jedem Gast von der Grande Dame über die Top-Managerin bis zum interessierten Gourmet-Neuling einen angenehmen Abend zu bereiten weiß. Selbst in Top-Häusern fällt uns in jüngster Zeit immer öfter eine schleichende Unsouveränität auf, die natürlich noch trüber wirkt, wo an klassischem Grand-Hotel-Service festgeklammert wird, ohne das perfekt geschulte Personal dafür zu haben. Nichts davon im Adlon: zwischen Serviette falten, Tisch abkehren und Stuhl anrücken witzelt man hier vom Chef-Sommelier bis zum Commis de Rang noch charmant mit den Gästen.

Doch jetzt zu Tisch: Den Auftakt machten eine pochierte Auster „Basil Smash", ein Cornetto mit Rindertatar, Kaviar und Paprika-Relish, das leicht geräuchert schmeckte und amüsanterweise an Schaschlik-Steak erinnerte, sowie eine Tartelette mit Erbsen und Wagyu-Sülze. Alle drei überzeugten mit feinen Aromen, wirkten nicht überambitioniert, aber distinguiert verarbeitet. Lediglich die Tartelette geriet etwas dickteigig und trocken. In der zweiten Runde wurden die Apéros süffiger: frittierte Froschschenkelpraline mit schwarzer Knoblauchcreme sowie im Ei servierter Spinat mit Eigelb, Jus, Spinat und Pilzen. Beide Gerichte unterstrichen eindrucksvoll, dass Reto Brändli in Sachen klassisches Handwerk niemand so schnell etwas vormacht.

Die Vorspeise bestand aus rohem Saibling im Ceviche-Stil, mit Koriander, roter Zwiebel und Limette und bot ein herrliches Süße-Säure-Spiel. Der Clou war hier ein Ceviche-Saft, für den das Team Limettensaft mit roten Zwiebeln, Salz und Fischparüren mixt, einen Tag ziehen lässt und anschließend passiert. Lose auf dem Teller mit Korianderöl vermengt entfaltet das Gericht eine betörende Dichte und changiert am Gaumen sekündlich zwischen kräutrig, ölig, sauer und süß. Ein Vibrato zum Essen. Wie sicher Sommelier Hans-Martin Konrad im Sattel sitzt, zeigte ein wunderbarer und alles andere als alltäglicher Einzellagen Veltliner von Veyder Mahlberg aus dem Jahr 2017, der mit seiner druckvollen, herb-hefigen, aber säurereichen Art perfekt zur konzentrierten Leichtigkeit des Essens passte. Wer das wandelnde Wein-Lexikon Konrad in Bestform erleben möchte, muss ihm lediglich ein paar Stichworte zur Lagenkarte der Côte d‘Or zuwerfen, um spontan druckreife Burgund-Exegese zu hören – sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch.

Die folgende Entenleber aus den französischen Landes wurde als Terrine, Eis und Crème brûlée serviert, begleitet von verschiedenen Komponenten von Roter Bete sowie Brioche. Die befürchtete Süße erwies sich als unbegründet, das Gericht war angenehm ausgewogen und der Sichuan-Pfeffer sorgte für eine herzhafte Note. Sogar die herrlich buttrige Brioche war mit Salz besprenkelt, um das Gericht klar im herzhaften Bereich zu verorten und die Leber fungierte eher als gleichberechtigter Partner, denn als klare Hauptkomponente. Spätestens jetzt kristallisiert sich für uns Brändlis Stil heraus, in dem die Komposition für uns an erster Stelle, noch vor dem Hauptprodukt steht.

Das soll nicht heißen, dass man im Adlon am Produkt spart. Ganz im Gegenteil, die Seezunge gehörte zu den besten Produkten, die man hierzulande aus dem Meer verspeisen kann. Das Doppelfilet mit Petersilienfüllung überzeugte durch erstklassige Qualität: fleischig, rein und rösch – wir konnten noch beim Essen förmlich die Butter beim Schäumen in der Pfanne hören. Auch die klassische, mit Kräuteröl verfeinerte Beurre blanc war perfekt zubereitet und abgeschmeckt. Nicht unterschätzen darf man an dieser Stelle den auf den Fisch platzierten Kräutersalat, der sich sehr weit vorwagt und auch hier fast eine dem Fisch ebenbürtige Rolle auf dem Teller einnimmt. Und das ist gut so, denn durch die jodig-grasig-nussige Melange aus Kräutern, Salat, Blüten, kleinen Artischocken, Zuckerschoten und knuspriger Senfsaat versprühte dieser Teller große distinguierte Lebensfreude, wie sonst nur ein Kandinsky-Aquarell.

Der bretonische Hummer wurde mit Schweinebauch, knackigem Spargel, Zitrone und Morcheln serviert und punktete vor allem dank der herrlichen Frühlingsstimmung auf dem Teller und der dichten, aber nicht übersättigten Bisque. Die Balance war wieder ausgezeichnet, auch wenn das Hauptprodukt hier noch weiter zurück ins Ensemble trat. Am Ende eine Stilfrage…

Weiter ging es mit Ballotine von der Wachtel aus saftig-nussiger Brust und Farce mit Estragon. Dazu wurden zwei Saucen serviert: eine Sauce Albufera aus Geflügelfond, gebunden mit Leber, und eine grüne, grasig-ätherische Estragonsauce. Haselnuss und Karotte setzten kleine Akzente, aber im Vordergrund standen die phänomenale Wachtel und herrlich ausgereiztes Estragonaroma als Hauptdarsteller. Der Service erwähnte, dass dieses Gericht auf dem Weg zum Signature Dish ist und bereits im Winter mit anderen Kräutern und schwarzer Trüffel auf der Karte stand. Unserseits keine Einwände!

Der Hauptgang bestand aus Lammrücken, Brokkoli-Stielen, Brokkoli-Couscous aus separat gegarten Blüten, Rauchmandel und einer mit Salzzitrone aromatisierten Jus. Fast schon logisch erscheint, dass Brändli hier ein sehr zartes, graziles Lamm ohne kräftigen Eigengeschmack wählt, ihm dafür aussagekräftige Komponenten entgegenstellt. Lediglich der Brokkoli-Couscous brachte gemeinsam mit der gehackten Mandel etwas viel „grieselige“ Texturen auf den Teller. So konnte die Kreation für uns nicht ganz die Spannung entfalten und fiel etwas hinter den Vorspeisen und Zwischengängen zurück. Sprich: nur noch hervorragend.

Das erste Dessert präsentierte Johannisbeere als eine Art Eistorte, verarbeitet mit fudge-artigem Teig, einer Schmandcreme und eiskalter roter Johannisbeermousse. Großartig war, dass Miso und Macadamia dem anfangs gefälligen Arrangement Tiefe sowie Ecken und Kanten verliehen. Noch besser war das zweite Dessert: Bananeneis, napfiger Bananenkuchen und eine mit Grapefruit gefüllte Eiskugel aus Kakaobohnen. Hier sorgte eingearbeitetes Malz für enorme Spannung und rundete das köstliche Menü perfekt ab.

Das Menü endete, wie es begann: mit einem Reigen herrlicher Petitessen, Pralinen, Keksen, Canapés. Alle unterstrichen bis zuletzt, dass mit Reto Brändli hier endgültig jemand angekommen ist, der die Kulinarik hierzulande noch auf beste Art prägen wird. Puristen mögen Reto Brändli vielleicht vorwerfen, produktfern zu kochen, aber das wäre zu simpel. Richtig ist, dass Brändli keine gnadenlose Produktschau betreibt – wer also erkunden und erforschen will, wird anderswo in Berlin eher fündig, im Ernst, im Rutz oder im Nobelhart & Schmutzig.

Auf eine ganz eigene und bestmögliche Art erscheint Produktgüte im Adlon als Mittel zu Zweck. Wenn Brändli Seezunge kocht, ist die Seezunge nur ein Teil des Ganzen, kein Egoist im Mittelpunkt. Brändli benötigt beste Produkte auf dem Weg zur perfekten Kombination, das perfekte Produkt ist aber nie Selbstzweck. Mit schwächeren Produkten würden seine Kreationen schlicht nicht aufgehen.

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